Die Mutter
Toilettenhäuschen, blieb jedoch stehen, als er die Gestalt sah, die an einem der Steintische saß. Er hoffte, es sei seine alte Freundin und freute sich wirklich, als er sie erkannte. Aber das Toilettenproblem löste sich dadurch nicht in Luft auf, und die Frau sah nicht so aus, als würde sie den Rastplatz in nächster Zeit verlassen. Ihr Kinn ruhte auf ihren Händen und sie starrte ins Nichts - da sie in Gedanken versunken wirkte, wollte er sie nicht stören.
Er hatte zwei Möglichkeiten: versuchen, sich an ihr vorbeizuschleichen - ihr Gesicht war vom Toilettenhäuschen abgewandt, sodass es leichter war, unentdeckt an ihr vorbeizukommen - oder zu ihr gehen, sich ihr vorstellen und dann auf die Toilette gehen. Er bezweifelte, dass er sich wirklich an ihr vorbeizuschleichen vermochte; sie würde seine Anwesenheit bestimmt spüren und sich erschrecken, vielleicht sogar Angst bekommen.
Das wollte er nicht. Aber zu ihr zu gehen und sie anzusprechen, war ebenfalls riskant. Vielleicht bekam sie auch sofort Angst, wenn plötzlich ein Fremder aus dem Busch auftauchte.
So oder so: Er musste aus dem Schatten treten und seine Unsichtbarkeit aufgeben.
Aber es bestand ja auch immer Option Nummer drei: im Gebüsch auf die Toilette zu gehen, wo sie ihn weder sehen noch hören konnte.
Aber er musste zugeben, dass der Gedanke, die Frau, die ihn nun seit fast anderthalb Jahren so faszinierte, endlich kennenzulernen, aufregend war. Und außerdem wusste er nicht, wie lange er noch unterwegs sein würde. Vielleicht war dies seine letzte Chance, ihren Namen zu erfahren und herauszufinden, wer sie war.
Während seine Blase ihn anflehte, sie endlich zu leeren, trat Ben aus dem schützenden Busch.
Seine Nervosität wuchs, je weiter er sich der Frau näherte. Gerade, als er einen Schritt auf den Asphalt machen wollte, in den beleuchteten Bereich des Parkplatzes, trat er auf einen Zweig. Das Knacken riss die Frau aus ihren Gedanken. Sie wirbelte zu Ben herum.
»Wer ist da?«, fragte sie und sprang auf.
»Ich komme in Frieden«, versicherte Ben und blieb ein paar Meter entfernt von ihr stehen.
Die Frau schaute Ben von oben bis unten an und entschied sehr schnell - aus welchem Grund auch immer - dass er keine allzu große Bedrohung darstellte.
Sie setzte sich wieder. »Schleichen Sie sich oft mitten in der Nacht aus dem Busch an?«
»Ich hab da oben geschlafen, und dann bin ich aufgewacht und musste mal urinieren. Ich dachte nicht, dass außer mir noch jemand hier ist.« Er sah, dass neben ihr eine Tasche auf der Bank lag. Sie war viel kleiner als die anderen, die sie früher dabeigehabt hatte.
»Und? Gehen Sie?« »Was?«
»Auf die Toilette.«
Ben nickte, lächelte sie müde an, trottete zu dem schwach beleuchteten Häuschen hinüber und ging auf die Herrentoilette Er pinkelte, betätigte die Spülung, wusch sich die Hände und ging wieder nach draußen.
Er näherte sich der Frau, wusste aber nicht genau, was er erwarten oder zu ihr sagen sollte. Vielleicht hatte sie ja gar keine Lust auf die Gesellschaft eines alten, schäbigen Landstreichers und würde ihm sagen, er solle verschwinden.
Ben ging um den Tisch herum, stand jetzt im Blickfeld der Frau. Sie sah ihn mit leeren Augen an. »Ja?«
Er fuhr sich mit zittriger Hand durch seinen zerzausten Bart und sagte: »Ich bin Ben. Wie heißen Sie?« »Was interessiert Sie das?«
»Ich treffe hier draußen nicht so oft eine Dame, so ganz allein.« Die Frau seufzte. »Und?«
Sie war offensichtlich nicht so freundlich, wie er geglaubt hatte.
»Ich hab Sie schon öfter gesehen«, sagte er. »Sie sind immer unterwegs, genau wie ich. Ich wollte Sie schon lange mal ansprechen, aber ich hab mich' nicht getraut.«
Er entschloss sich, die Information, dass er sie beobachtet hatte, für sich zu behalten.
»Wieso haben Sie sich nicht getraut?« Sie klang nun nicht mehr ganz so bissig wie zuvor. Bens Nervosität legte sich etwas.
»Die meisten Leute wollen von einem alten Landstreicher wie mir nicht gestört werden. Die meisten Menschen, die mich sehen, machen entweder einen großen Bogen um mich oder tun so, als existierte ich gar nicht. Ich sollte mich Caspar nennen.« Er kicherte, aber als er das ernste Gesicht der Frau sah, verstummte et »Ich dachte, Sie wären genauso, deshalb bin ich Ihnen aus dem Weg gegangen. Aber ich war neugierig.« »Worauf?«
»Auf Sie. Wieso Sie auf dem Hume unterwegs sind.« Er nickte in Richtung des freien Platzes neben ihr. »Darf ich?« »Die Bank
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