Die Nebel von Avalon
sagte: »Nein, Elaine. – Es gab eine Zeit, da glaubte ich… aber es kam nie dazu. Ich liebte ihn
nicht, und er liebte mich nicht.« Zu ihrem eigenen Erstaunen stellte sie fest, daß es stimmte, obwohl es ihr noch nie bewußt geworden war.
Elaine starrte auf einen Sonnenflecken auf dem Fußboden, der durch ein altes buntes Glas mit verblaßten Farben drang, das noch aus der Zeit der Römer stammte.
»Morgaine… hat er an Pfingsten die Königin gesehen?« »Vermutlich«, erwiderte Morgaine trocken. »Lancelot ist nicht blind, und sie saß neben Artus.« Elaine machte eine ungeduldige Handbewegung. »Du weißt, wovon ich spreche!«
Ist sie immer noch eifersüchtig? Haßt sie Gwenhwyfar so sehr? Sie hat Lancelot und sie hat ihm Kinder geboren. Sie weiß, er ist ein ehrenhafter Mann. Was will sie eigentlich mehr?
Aber der Anblick der jungen Frau, die nervös mit ihren Fingern spielte und Tränen in den Augen hatte, stimmte sie weich.
»Elaine, er sprach mit der Königin. Er küßte sie zum Abschied, als er zu den Waffen gerufen wurde. Aber ich schwöre dir, er sprach als Ritter zu seiner Königin und nicht als Liebender zu seiner Geliebten. Sie kennen sich seit ihrer Jugend. Wenn sie nicht vergessen können, daß sie sich liebten, wie man nur einmal liebt… weshalb solltest du ihnen das verübeln? Du bist mit ihm vermählt, Elaine. Als er mich bat, dir seine Botschaft zu überbringen, konnte ich spüren, daß er dich liebt.«
»Und ich habe geschworen, mich damit zufriedenzugeben, nicht wahr?« Elaine senkte den Kopf. Morgaine sah, daß sie heftig gegen die Tränen ankämpfte. Nach einer Weile hob sie den Kopf. »Du hast so viele Männer gehabt, Morgaine, hast du je erfahren, was es heißt zu lieben?«
Einen Augenblick lang fühlte sich Morgaine von dem alten Aufruhr erfaßt und fortgerissen – der wahnsinnigen Liebe, die sie und Lancelot auf dem sonnenüberfluteten Berg in Avalon einander in die Arme getrieben hatte, die sie wieder und wieder zusammenbrachte, bis alles in Bitterkeit endete… doch unter Aufbietung ihrer ganzen Willenskraft verbannte sie die Erinnerung durch den Gedanken an Accolon. Er
hatte in ihrem Herzen und in ihrem Körper die süße Gewißheit, eine Frau zu sein, wieder erweckt, als sie sich alt, tot und nutzlos vorkam… er hatte sie zu der Göttin zurückgeführt, die sie wieder zur Priesterin machte… sie spürte, wie ihr Herz heftig klopfte, und sie errötete.
Morgaine nickte langsam: »Ja, mein Kind. Das habe ich… ich weiß, was es heißt zu lieben.« Sie sah, daß Elaine hundert andere Fragen stellen wollte und dachte, wie schön es wäre, alles mit der einzigen Frau zu teilen, die ihre Freundin gewesen war, seit sie Avalon verlassen und deren Ehe sie gestiftet hatte… aber nein. Geheimhaltung war ein Teil der Kraft einer Priesterin. Wenn sie darüber sprach, was sie und Accolon gemeinsam erfahren hatten, würde das bedeuten, daß sie es aus dem Magischen Reich herausriß. Aus ihr würde dadurch nur eine unzufriedene Gemahlin, die sich in das Bett ihres Stiefsohns stahl.
Sie sagte: »Elaine, wir müssen noch über etwas anderes sprechen. Erinnere dich, du hast mir etwas gelobt… ich habe dir geholfen, Lancelot zu gewinnen, und du hast versprochen, mir dafür zu geben, was ich verlange. Nimue ist nun schon über fünf Jahre alt. Ich reite morgen nach Avalon. Du mußt alles vorbereiten, daß sie mich dorthin begleitet.«
»Nein!« Es klang beinahe wie ein Aufschrei. »Nein, o nein, Morgaine… das kannst du nicht wollen!«
Morgaine hatte das befürchtet. Jetzt sprach sie deshalb kühl und hart.
»Elaine, du hast es geschworen.«
»Wie konnte ich es schwören, noch ehe das Kind geboren war? Ich wußte nicht, was es bedeutete… o nein, nicht meine Tochter, nicht meine Tochter… du kannst sie mir nicht wegnehmen… nicht solange sie noch so klein ist.«
Morgaine wiederholte: »Du hast es geschworen!«
»Und wenn ich mich weigere?« Elaine wirkte wie eine fauchende Katze, die bereit ist, ihre Kinder gegen einen großen, bellenden Hund zu verteidigen.
»Wenn du dich weigerst«, Morgaine sprach ruhig wie immer, »wird Lancelot bei seiner Rückkehr erfahren, wie diese Ehe zustande kam. Er wird hören, wie du mich weinend angefleht hast, einen Zauber über ihn zu werfen, damit er sich von Gwenhwyfar abwendet und dich begehrt. Er hält dich für das unschuldige Opfer meiner Zauberkünste, Elaine. Er gibt mir die Schuld, nicht dir. Soll Lancelot die Wahrheit
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