Die Nebel von Avalon
Frau, die ich liebe, weil sie dein schönes Gesicht und deine bezaubernde Stimme hat… Ich habe die Götter und Göttinnen so satt… Wäre ich doch nur dein und Lots Sohn, und nicht mehr als das. Ich habe mein Schicksal so satt…«
Einen Augenblick lang rührte er sich nicht. Er hatte das Gesicht in den Armen vergraben, und seine Schultern zuckten. Zögernd strich ihm Morgause über die Locken. Schließlich hob er den Kopf und erklärte mit bitterem Lächeln: »Ich möchte noch einen Becher Branntwein, aber diesmal ohne Wasser und Honig…« Als man ihm den Wunsch erfüllte, leerte Gwydion den Becher, ohne einen Blick auf die dampfende Hafergrütze und die Gerstenkuchen zu werfen, die gerade aufgetragen wurden. »Was stand noch in Lots alten Bücher, die wir lesen mußten, als der Priester Gareth und mich blutig schlug, weil wir nach seiner Ansicht nicht schnell genug Latein erlernten? Wie hieß dieser alte Römer, der sagte ›Nenne nie einen Menschen glücklich, ehe er tot ist‹? Es ist also meine Aufgabe, meinem Vater das größte Glück zu bringen. Und weshalb sollte ich mich gegen mein Schicksal auflehnen?« Er winkte der Dienerin, ihm den Becher wieder zu füllen. Als Morgause sie mit einem Blick daran hinderte, griff er selbst zur Flasche und schenkte sich ein. »Du wirst dich betrinken, mein lieber Sohn. Du mußt zuerst etwas essen.«
»Dann bin ich eben betrunken«, erwiderte Gwydion bitter. »So soll es sein. Ich trinke auf Tod und Schande… König Artus' und meine!« Er leerte den Becher und warf ihn dann in eine Ecke. »Soll doch ge
schehen, was das Schicksal bestimmt hat. Der Hirschkönig herrscht in den Wäldern bis zu dem Tag, den die Herrin bestimmt…
denn alle Tiere werden geboren und gesellen sich zu anderen ihrer Art. Sie leben und erfüllen den Willen der Lebenskräfte, und schließlich legen sie ihren Geist wieder in die Hände der Herrin
…« Er sprach die Worte mit einer merkwürdig harten Betonung. Morgause kannte zwar die Weisheiten der Druiden nicht, aber sie wußte, die Worte gehörten zu einem Ritual, und sie schauderte, als sie solches hörte.
Gwydion holte tief Luft und sagte: »Aber heute will ich im Haus meiner Mutter schlafen und Avalon, Könige, Hirsche und das Schicksal vergessen, nicht wahr? Nicht wahr?« Das starke Getränk überwältigte ihn, und er sank in ihre Arme. Morgause hielt ihn umschlungen und streichelte seine seidigen, dunklen Locken, die so sehr Morgaines Haaren glichen, während er an ihrer Brust schlief.
Aber selbst im Schlaf ächzte und stöhnte Gwydion, als quälten ihn böse Träume. Morgause wußte, es war nicht nur der Schmerz der nicht verheilten Wunde.
Viertes Buch
Der Verräter
1
In den Hügeln von Nordwales regnete es seit Tagen. Die Burg von König Uriens schien in Nebel und Dunst schier zu schwimmen. Auf den Straßen versank man knöcheltief im Schlamm. Die Flüsse traten über ihre Ufer, denn aus den Bergen ergossen sich reißende Ströme.
Alle litten unter der feuchten Kälte. Morgaine saß am Webstuhl. Sie hatte sich in einen dicken Mantel gehüllt und ein warmes Schultertuch umgelegt. Ihre steifen, klammen Finger wurden immer langsamer, während sie sich mit dem Schiffchen abmühte. Plötzlich richtete sie sich auf, und das Schiffchen entglitt ihren kalten Händen.
»Was ist, Mutter?« fragte Maline, aufgeschreckt von dem Geräusch in der stillen Halle.
»Ein Reiter nähert sich«, erwiderte Morgaine. »Wir müssen uns vorbereiten, um ihn zu begrüßen.« Als sie den verstörten Blick ihrer Schwiegertochter bemerkte, ärgerte sie sich über sich selbst. Wieder einmal hatte sie nicht aufgepaßt und war in jenen tranceähnlichen Zustand gefallen, der sie in letzter Zeit bei Handarbeiten immer häufiger überkam. Das Spinnen hatte sie schon lange aufgegeben. Aber gern saß sie am Webstuhl. Das Weben konnte ihr nichts anhaben, solange sie sich zusammennahm und nicht seiner einschläfernden Gleichförmigkeit verfiel.
Maline sah sie in einer Mischung aus Verzweiflung und Angst an. So reagierte sie immer auf Morgaines unerwartete Visionen. Maline sah darin nichts Böses oder Übernatürliches – es gehörte einfach zum merkwürdigen Wesen ihrer Schwiegermutter. Aber sie sprach mit dem Priester darüber. Er kam dann zu Morgaine und versuchte vorsichtig, sie auszufragen. Sie mußte dann ein unschuldiges Gesicht aufsetzen und vorgeben, nicht zu wissen, wovon er eigentlich sprach. Aber eines Tages würde sie ihre Vorsicht vergessen und
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