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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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gemeinsamen Freunde, denn derjenige wäre ins Schlafzimmer gekommen, um zu schauen, wie es ihm ging. Bestimmt ein Bewunderer. Darauf deutete die Musik hin, die aus Elias’ Arbeitszimmer drang. Gearbeitet wurde dort jedenfalls nicht. Odd stellte sich einen jungen Mann vor, denn er wusste, dass Frauen nichts anderes als die Erinnerungen seines Lebensgefährten in Gang setzten.
    Vor ein paar Stunden, nachdem Odd endlich hatte aufstehen können, fand er Elias nackt am Küchentisch vor. Odd merkte sofort, was mit ihm los war. Er bekam stets denselben verklärten Blick, wie ein unsterblich verliebter Teenager. Verdammter Mistkerl, dachte Odd, sagte jedoch kein Wort. Beim kleinsten Anzeichen eines Streits würde seine Migräne wieder aufflammen. Es hatte übrigens vor ein paar Wochen angefangen, während Odd in Lillehammer gewesen war. Schon am Tag seiner Rückkehr hatte Elias diesen verhangenen Blick gehabt, diesen Geruch jugendlicher Geilheit. Er tat sehr geheimnisvoll und machte eine Reihe von Andeutungen. Er wusste, wie sehr dies Odd verletzte, doch gerade darum tat er es ja, das hatte Odd längst begriffen. Elias liebte es, ihn eifersüchtig zu machen. Nicht um seine Macht zu demonstrieren, sondern weil er niemals das Gefühl missen wollte, dass jemand seinetwegen eifersüchtig war. Überhaupt liebte er es, bei Menschen Gefühle zu provozieren, die sie nicht unter Kontrolle hatten. Das machte sie interessanter, meinte er. »Selbst ein so durch und durch langweiliger Typ wie du, Odd, wird interessant, wenn diese herrlich unreife Wut an die Oberfläche kommt.« Oder er sagte: »Ich liebe dich eben, Odd, wenn du wütend bist und dich zu beherrschen versuchst, wenn du deine versteckte und gefährliche Seite zeigst. Ansonsten ist bei dir ja alles geradezu absurd vorhersehbar.« Dennoch hatte Elias immer an ihm festgehalten, oder gerade deshalb. Auch er brauchte etwas Vorhersehbares und Verlässliches an seiner Seite. Ohne mich wäre er völlig hilflos, dachte Odd. Und jetzt, nachdem diese Sache passiert war, braucht er mich mehr denn je … Für eine Weile hatte Elias versucht, es für sich zu behalten, doch schließlich hatte Odd es herausbekommen. Fand einen Brief, der nicht für seine Augen bestimmt gewesen war. Er war zwar vorhersehbar, doch hatte er die Gabe, Elias zu durchschauen und mehr über ihn zu wissen als jeder andere. Er tröstete sich mit diesem Gedanken, hegte und pflegte ihn jeden Tag.
     
    Elias Berger war tief in den Ohrensessel gesunken. Sein Kopf war nach hinten gefallen, sein Mund stand halb offen. Er atmete schwer und unregelmäßig.
    Odd legte ihm die Hand auf die Stirn.
    »Wie geht es dir?«
    Berger öffnete ein Auge.
    »Kannst du aufräumen?«, stöhnte er und machte eine müde Kopfbewegung in Richtung Schreibtisch.
    Odd ging dorthin und zog die oberste Schublade auf. Darin lagen ein Stauschlauch und eine Spritze, in deren Kanüle die Reste einer milchigen, mit Blut durchsetzten Flüssigkeit zu erkennen waren.
    »Sei so gut und warne mich das nächste Mal, bevor die Polizei zu Besuch kommt.«
    »Das hab ich doch getan!«, wehrte sich Odd.
    Berger winkte ärgerlich ab und starrte an die Decke.
    »Hat sich deine Migräne gebessert?«, fragte er freundlich.
    Odd kam erneut zu ihm und strich ihm über die Haare. »Danke für dein Mitgefühl, Elias.«
    Aus Bergers Kehle drang ein leises Grunzen.
    »Ich brauche das Haus heute Abend eine Zeitlang für mich allein«, sagte er. »Könntest du etwas unternehmen?«
    Odd zog seine Hand zurück und ließ sich auf den Couchtisch sinken. Er hätte jetzt zornig werden und ihn daran erinnern können, dass dies seine Wohnung war. Dass Elias hier nur wohnte, weil Odd es ihm erlaubte. Dass Elias irgendwo anders seine Toyboys empfangen sollte. Genau dieses Wort hätte er benutzen können. Er hätte ihm ins Gesicht schreien können, dass er ihn hasste. Aber damit konnte er Elias nicht treffen. Nach dem, was geschehen war, umso weniger. Es nutzte nichts, ihm diese Dinge zu sagen, denn Elias wohnte nicht dort, weil er musste, sondern weil Odd es so wollte. Er wollte ihn bei sich haben, wollte ihn genau so, wie er war.
    »Wie kann ich dir helfen, wenn du mich zurückweist?«
    Berger schaute ihn lange an. Sein Blick öffnete sich und war für einen Moment frei von jedem Spott. Dann berührte er Odds Hand, auf eine Art, nach der sich Odd die ganze Zeit gesehnt hatte.
    »Es wäre ein Zeichen tief empfundener Freundschaft, Odd, wenn du deinem Freund helfen würdest, eine

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