Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
«Ngaahika Ndeenda» (Ich heirate, wann ich will). Das Stück war auf spontane Publikumsteilnahme angelegt und sparte nicht mit Kritik am Versagen der politischen Eliten des Landes seit der Unabhängigkeit und an der gescheiterten Regierungspolitik Jomo Kenyattas, des ersten kenianischen Präsidenten. Es wurde ein groÃer Publikumserfolg, nicht zuletzt, weil es in der Volkssprache geschrieben und daher dem Volk unmittelbar verständlich war. Wohl deshalb wurden die Aufführungen nach sechs Wochen verboten. NgÅ©gÄ© wurde verhaftet und ein Jahr lang ohne Haftbefehl, ohne Prozess und ohne Urteil in einem Hochsicherheitsgefängnis festgehalten. Erst auf Intervention von
Amnesty International
kam er frei, verlor allerdings sein Universitätsamt und ging danach mit seiner Familie ins Exil nach England.
In den folgenden Jahrzehnten hatte er zahlreiche Gastdozenturen an den namhaftesten Universitäten Englands und der USA inne. Seine akademische Laufbahn führte über London, Yale und New York an die
University of California
in Irvine, wo er seit 2002 lebt und lehrt, als Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft und Direktor des Internationalen Ãbersetzerzentrums.
Im Gefängnis schrieb NgÅ©gÄ© â auf Toilettenpapier â seinen ersten Roman auf GÄ©kÅ©yÅ©, eine Anklage des diktatorischen Regimes unter dem neuen Präsidenten Daniel arap Moi, der mit Kenia wie mit seinem Privatbesitz fuhrwerkte, Oppositionelle verhaften, foltern und ermorden lieÃ, Vermögen unterschlug und Land und Bevölkerung ausplünderte. All diese Erfahrungen bewogen den Exilanten NgÅ©gÄ© schlieÃlich zu einem Bruch mit seiner englischen, sprich: kolonialistischen Vergangenheit â mit der englischen Sprache, mit dem Christentum und mit seinem Taufnamen. Aus James NgÅ©gÄ© war wieder NgÅ©gÄ© wa Thiongâo geworden, ein Autor, der als Sprache seiner Literatur fortan seineMuttersprache GÄ©kÅ©yÅ© verwendete und seine Romane danach selbst ins Englische übersetzte, während er für seine Essayistik und seine akademischen Arbeiten auch weiterhin beim Englischen blieb. Das gilt auch für seine (auf Englisch geschriebenen) Kindheits- und Jugenderinnerungen.
Die Geschichte seines nicht ganz widerspruchsfreien Bruchs mit dem Englischen und seines Rückzugs aus der eurozentrischen Kultur lässt sich in seinem programmatischen Essayband «Decolonising the Mind: The Politics of Language in African Literature» (1986) nachlesen. Die Geschicke des Kontinents, heiÃt es da, würden immer noch an den Konferenztischen Europas und der USA entschieden, «der Imperialismus kontrolliert weiterhin die Wirtschaft, die Politik und die Kultur Afrikas».
Der Text ist nicht unproblematisch und in einigen Teilaspekten zudem historisch überholt, da inzwischen das Englische ebenso wie die einheimischen Sprachen (als Symbol für afrikanisches «Empowerment») Teil der afrikanischen Wirklichkeit von heute geworden sind. Gleichwohl hält der Text einige wichtige und richtige Erkenntnisse fest â etwa die Bedeutung der Muttersprache für die Identität und die Erinnerung an Herkunft, Ursprung und traditionelle Verwurzelung.
NgÅ©gÄ© äuÃert einmal mehr die wohlbekannte Kritik, dass die Sprache der Kolonisatoren auch westliche Inhalte und ein westliches Weltbild transportiert und so zu einem Instrument der kulturellen Hegemonie Europas und einem Mittel der Unterdrückung und Zerschlagung der afrikanischen Identität werden kann und die Erinnerung der Afrikaner auslöscht. Dagegen betont er die Bedeutung der Mündlichkeit für die afrikanische Kultur und hebt die reiche Volkskultur Kenias und die mündlichen Erzähltraditionen Afrikas hervor. Man liest: «Wir afrikanischen Autoren sind durch unsere Berufung dazu verpflichtet, für unsere Sprachen zu tun, was Spencer, Milton und Shakespeare für das Englische getan haben; was Puschkin und Tolstoj für das Russische getan haben; was in der Tat alle Autoren der Weltgeschichte für ihre Sprachen getan haben.»
All diese Erfahrungen, Erlebnisse, Enttäuschungen und Erkenntnissespiegeln sich in einem Roman, an dem Ngũgĩ fast zwei Jahrzehnte lang arbeitete, der inzwischen als sein Opus Magnum gilt, im Original den Titel «Murogi wa Kagogo» trägt und als «Wizard of the Crow» (auf Deutsch: «Herr der Krähen») den Autor weltweit bekannt
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