Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
dickenBestechungskuverts Nachdruck verleihen). Die Korruptionsmaschine läuft wie geschmiert, obwohl die Kredite noch längst nicht bewilligt sind.
Um bei der
Global Bank
Druck zu machen, reist der Herrscher nach New York, wo er von einer rätselhaften Krankheit befallen wird: Je länger er auf einen Bescheid der Weltbanker warten muss, desto mehr bläht sich sein Körper auf, bis er (vor Wut? vor GröÃenwahn? vor Selbstüberschätzung?) beinahe platzt. Zuletzt hebt er ab und schwebt wie ein Ballon am Plafond. Die Ãrzte sind ratlos, daher wird der titelgebende «Herr der Krähen» zur Hilfe gerufen und eingeflogen.
Dahinter verbirgt sich der arbeitslose Akademiker Kamiti, der sich vergeblich um einen Job beim Turmbau beworben hat und nun durch eine Reihe von Missverständnissen ganz gegen seine Absicht sich den Ruf eines Hexenmeisters zugezogen hat und als Schamane, Heiler und Wahrsager zu Ruhm und Autorität im Lande gekommen ist. Nur durch Zufall entdeckt er wundersame Heilkräfte in sich und beginnt, sich als Nachkomme eines Sehers und Magiers zu begreifen. Gemeinsam mit seiner Freundin, die die geheime Untergrundbewegung «Stimme des Volkes» anführt, steigt Kamiti zur Gegenmacht im Lande auf. Er wird mal hofiert, mal gejagt, mal als Retter eingeflogen, mal verhaftet. Er ist die Tricksterfigur, die in allen Volkskulturen vorkommt und in der kenianischen Folklore oft als Hase auftritt. Als Gegenspieler der habgierigen, korrupten und verkommenen neuen Eliten des Landes verkörpert der «Herr der Krähen» die positiven, traditionellen Kräfte Afrikas: Respekt vor Mensch und Natur, Friedfertigkeit, Geduld, Menschenfreundlichkeit, Unbestechlichkeit und tiefes Wissen um die Selbstheilungspotenziale des Kontinents.
NgÅ©gÄ© nimmt Metaphern wortwörtlich und kitzelt so ihre Komik hervor. Mit groÃer Fabulierlust, mit Einfallsreichtum, karikierendem Witz und Sinn für Situationskomik entfaltet er das politische und kulturelle Kräftespiel zwischen der Machtclique um den Herrscher und den diffusen Widerstandskräften des Landes, die sich auf die Kirchen, die unterdrückten Frauen und andere ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen stützen â ihnen dient der Einzelgänger und Einzelkämpfer Kamiti als Hoffnungsträger und Traditionsbewahrer.
Im Grunde tobt der Kampf um die Zukunft des Landes zwischen den Anhängern (und Profiteuren) westlicher Globalisierungsstrategien und den archaischen einheimischen Kräften und Energien, die NgÅ©gÄ© durchaus auch als dämonisch konnotiert sieht â mit männlichen und weiblichen Dämonen, mit Dämonen der Macht und Dämonen des Aufruhrs. Nach dem Vorbild des russischen Philosophen und Literaturkritikers Michail Bachtin setzt er die Groteske als Waffe der Unterdrückten ein und gibt die Unterdrücker der Bachtinschen Lachkultur preis. In der Art, wie NgÅ©gÄ© hier moderne narrative Strategien und Bibelzitate mit Echos der mündlichen Traditionen Afrikas mischt, mit einheimischen Sprichwörtern, Märchen, Rätseln und Volksmythen, lässt er die Geschichtenabende seiner Kindheit am heimischen Feuer im väterlichen Gehöft wiederaufleben und verbindet afrikanische Erzählkultur mit Weltliteratur westlicher Prägung.
Die Ränkespiele, Durchstechereien und Machtverschiebungen im Dunstkreis des Herrschers inszeniert er mit genieÃerischer Ausführlichkeit. Der Diktator sucht sich mit Verschlagenheit und Grausamkeit zu behaupten, nur um zu erleben, dass seine Schranzen ihn letztlich an Ruchlosigkeit und Heimtücke weit übertreffen, allen voran der Bauunternehmer Tajirika. Die alten Machttechniken des Herrschers greifen nicht mehr, die USA lassen ihn fallen. Gegen einen etwaigen Staatsstreich oder Militärputsch suchte er sich lebenslang zu wappnen, eine lautlose Palastrevolte Tajirikas fegt ihn hinweg. In nicht mehr als einem Nebensatz wird er erschossen. Doch der Regimewechsel bringt keinen Wandel, schon gar keinen Wandel zum Besseren â dies die ernüchternde Erkenntnis, die der Roman schlussendlich zu bieten hat. Ob dies NgÅ©gÄ© wa Thiongâos letztes Wort zu Afrika gewesen ist, muss sich erst noch herausstellen.
Erwähnte Bücher von Ng Å© g Ä© wa Thiongâo
«Verborgene Schicksale», Kurzgeschichten (Volk und Welt 1977)
«Träume in Zeiten des Krieges. Eine Kindheit» (A1 Verlag 2010)
«Herr der Krähen»,
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