Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
Amerikanischen Traum endgültig zu desavouieren. Nach seiner glorreichen Prager Mafia-Zeit stürzt der Held kopfüber dorthin, wohin ihn seine assimilierten Eltern bereits die längste Zeitdrängen wollen: in die amerikanische
Middle Class
, wie sie bürgerlicher, beschränkter und selbstzufriedener kaum denkbar ist. Girshkin wird mit einer Amerikanerin verheiratet und endet als Buchhalter in der Firma seines Schwiegervaters in Cleveland, Ohio. Seine Zwangsassimilierung in einer provinziellen amerikanischen Mittelstandsfamilie besiegelt seinen lächerlichen Sturz in die Bürgerlichkeit, bedeutet aber auch das Ende seiner koketten migrantischen Spielchen zur Integrationsverweigerung.
So demonstriert Gary Shteyngart die migrantische Doppelperspektive auf die Welt: Er schaut mit russischen Augen auf die Kultur seines Einwanderungslandes, und er mustert mit amerikanisiertem Blick den postsowjetischen Wilden Osten. Nicht minder unterhaltsam und aufschlussreich ist ein anderer Debütroman, der von New York und Umgebung aus das Herkunfts- und das Ankunftsland eines jungen Immigranten in den doppelten Blick nimmt. Auch dieser Erstlingsroman wurde gefeiert, erhielt hymnische Kritiken und wurde 2008 sogar mit dem Pulitzer-Preis bedacht. Auch dieser Roman handelt von der Dualität migrantischer Erfahrungen, hat einen schlecht integrierten, heimlich aufsässigen, dicklichen Zuwanderer zum Helden und amalgamiert aufs Vergnüglichste zwei ganz unterschiedliche sprachliche und kulturelle Sphären.
Der Roman «Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao» von Junot DÃaz erzählt, wie es der Titel verspricht, das Leben des Oscar Wao, eines unsportlichen und übergewichtigen Computer-Nerds aus einem dominikanischen Ghetto in New Jersey nahe New York. Oscar ist ein karibischer Einwanderer der zweiten Generation; seine Familie stammt aus der Dominikanischen Republik, dem spanischsprachigen Teil der Antillen-Insel Hispaniola, auf der Christoph Columbus 1492 landete. Oscar ist ein unglücklicher, weil bei Mädchen chancenloser Student an der
Rutgers University
, die er als männliche Jungfrau betritt und als solche auch wieder verlässt. Er verbringt seine Zeit tagträumend mit dem Schreiben von Science-Fiction, Fantasyromanen, Weltraumopern und Computer-Rollenspielen und hat den Ehrgeiz, der «Dominikanische Tolkien» zu werden.
Oscars Erfinder und Autor, Junot DÃaz, ist, anders als sein Held,ein karibischer Zuwanderer der ersten Generation. Er wurde 1968 in der Dominikanischen Republik geboren, kam als Kind in die USA, studierte an der
Rutgers
und der
Cornell University
und unterrichtet heute
Creative Writing
am MIT, dem
Massachusetts Institute of Technology
. Im Gegensatz zu seinem Helden ist er eher schmächtig gebaut.
Der Roman hat zwei Erzähler-Stimmen: Lola, Oscars schöne, taffe und sportliche Schwester, und Yunior, Oscars dominikanischen Zimmergenossen im Studentenwohnheim in
Rutgers
. Die beiden bemühen sich nach Kräften, den depressiven Fettwanst, der dem feisten alten Oscar Wilde ähnelt (daher sein verballhornter Spitzname «Oscar Wao»), in Richtung Angepasstheit und amerikanischer Normalität (inklusive Sport und Gewichtabnahme) zu drängen, damit er endlich an eine Freundin kommt und sein AuÃenseiterdasein ein Ende hat. Vergeblich. Oscar ist und bleibt ein selbstmordgefährdeter Frust-Esser, der schöne und für ihn unerreichbare Mädchen aus der Ferne anhimmelt oder ihnen auf schrullige Weise und natürlich erfolglos den Hof macht. Sein einziger Trost besteht im Abtauchen in die imaginären Welten der Popmythen zwischen Tolkien, «Matrix», «Star Trek», Captain-Marvel-Comics, Videospielen und Anime-Filmen.
Doch der Roman hat weit mehr zu bieten als nur diesen einen â eher stagnierenden â Erzählstrang. Er ist auch Familienchronik, politischer Roman und ethnische Integrationsgeschichte. Rekapituliert wird über drei Generationen hinweg die Familiengeschichte der Geschwister Oscar und Lola in der alten karibischen Heimat. Diese Familienhistorie ist mit der infernalischen Geschichte der Dominikanischen Republik, dieses «Alcatraz der Antillen», aufs Engste und Blutigste verstrickt. Die Jahrzehnte währende Schreckensherrschaft des Insel-Diktators Rafael Trujillo, die bereits aus dem politischen Dokumentarroman «Das Fest des Ziegenbocks» von Mario Vargas Llosa in vielen grausigen Details bekannt
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