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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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Roman «Yalo» darf dabei als generelles Leitmotiv gelten, denn er benennt die Grunderfahrung dieser Bürgerkriegskinder: die Erfahrung einer völlig irrationalen Welt. «Yalo verstand nicht, was vor sich ging.»
    Bei Rawi Hage kommen zu Beginn seines Romans «Als ob es kein Morgen gäbe» zwei Halbwüchsige in den Blick, die sich lieber auf ihrem Motorrad in den Straßen von Beirut herumtreiben, als weiter zurSchule zu gehen: Bassam und George, genannt «De Niro», zwei Freunde seit Kindheitstagen. Sie wären zwei ganz gewöhnliche Schulschwänzer auf Abwegen, gäbe es da nicht einen besonderen Umstand: Seit die beiden denken können, herrscht Bürgerkrieg im Libanon.
    Granathülsen zu sammeln, um sie gegen Zigaretten einzutauschen, war schon ihr Kinderspiel. Inzwischen haben muslimische, palästinensische und christlich-maronitische Milizen die Stadt aufgespalten in einen muslimischen Westteil und einen christlichen Ostteil, haben die Stadtviertel von Beirut gegeneinander abgeschottet und Straßensperren errichtet. Täglich liefern sie einander Gefechte entlang der «Green Line». Die City ist ein Trümmerfeld, kommunale Dienste wie Wasser- und Stromzufuhr funktionieren nur noch sporadisch. Der Müll türmt sich in den Straßen, und tagtäglich fallen Bomben und Granaten auf die christliche Enklave in Ost-Beirut, in der Bassam und George in halb zerstörten Häusern leben – «Teenager mit langen Haaren, die Knarren in den Gürteln stecken hatten und mit gestohlenem Benzin die Stadt unsicher machten».
    Die beiden verachten die Schutzkeller, in denen sich die Beiruter bei Luftalarm zu verkriechen pflegen, und halten sich auch während des Bombenhagels ostentativ im Freien auf: «Lieber draußen sterben.» Sie legen sich zeitgemäße Selbstbilder zurecht: «Wir waren ziellos, waren Bettler, Banditen, geile Araber mit lockigem Haar und offenen Hemden, in deren hochgekrempelten Ärmeln Marlboropäckchen steckten. Wir waren Aussteiger, rücksichtslose Nihilisten mit Pistolen, Mundgeruch und langen amerikanischen Jeans.»
    Wenige Jahre später ist die Freundschaft der beiden zerbrochen, kaputtgegangen am immer weiter eskalierenden Bürgerkrieg der 1980er Jahre und am Verrat, den George an Bassam begangen hat. Zwei blutjunge, blutbesudelte Kriegsveteranen stehen sich letztmals gegenüber, beide seelisch genauso zerstört wie die Vietnam-Veteranen in dem Film «The Deer Hunter». «Du warst immer schon ein Mörder», sagt Bassam zu George. «Wir waren Mörder, Bassam», korrigiert George, ehe er sich den Revolver an die Schläfe hält und, ganz wie sein Held Robert de Niro in «The Deer Hunter», Russisches Roulette spielt.
    Am Ende ist George tot. Bassam begräbt ihn provisorisch im Schuttunter der Nabaa-Brücke, kann schließlich aus dem Libanon fliehen und irrt danach als illegaler Flüchtling durch Europa. Denn anders als George, der im Bürgerkrieg eine mögliche Existenzform für sich erblickte, eine Chance, sich auszuleben, und sich den christlichen Milizen als Kämpfer anschloss, sinnt Bassam immer nur auf Mittel und Wege, um der Rekrutierung durch die christlich-maronitische Phalange zu entkommen und aus dem Libanon zu flüchten. «Ich muss hier weg», so lautet Bassams Mantra von Anfang an: «Ich haue ab und überlasse das Land den Teufeln.» Fort nach Rom, wo sogar die Tauben auf den Plätzen «glücklich und gut genährt» wirken. Fort nach Frankreich, vielleicht sogar fort nach Übersee, nach USA oder Kanada. Nur fort.
    War George wirklich «immer schon ein Mörder», wie Bassam behauptet, oder hat ihn erst der Bürgerkrieg dazu gemacht? Musste ein junger Mann sich damals einfach einer der Bürgerkriegsparteien anschließen oder konnte er sich verweigern? Und wenn er sich verweigerte, entging er damit dem allgemeinen Mordgeschäft oder musste er selbst als Zivilist kriminell und gewalttätig werden? Wenn man die Knarre im Gürtel stecken hat und sie straflos einsetzen darf, ist man dann überhaupt noch imstande, selbst banale Konflikte ohne Gewalt zu lösen? Müssen Freunde zu Verrätern aneinander werden, wenn der Bürgerkrieg sie entzweit? Kurzum: Kann man Frieden halten und Recht und Ordnung achten, wenn Recht und Ordnung außer Kraft gesetzt sind und der Frieden aus dem Wortschatz gestrichen ist?
    Dies sind die

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