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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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ein, zwingt binnen Wochen die pakistanische Armee zur Aufgabe und garantiert einen unabhängigen Staat Bangladesch.
    Anfangs erscheint Rehana als biedere Hausfrau und nur auf ihre Kinder, Haus und Garten fixierte Mutter, deren Interessen sich scheinbar auf das Kochen schmackhafter Mahlzeiten und die regelmäßigen Kartenrunden mit ihren Gin-Rummy-Freundinnen beschränken. Doch als ihr Sohn Sohail und ihre Tochter Maya sich auf der Universität von Dhaka linksrevolutionär politisieren, als die pakistanische Armee in Bengalen zu wüten beginnt, als Sohail sich der bengalischen Guerilla-Armee anschließt und Maya sich von Kalkutta aus mittels Flugblättern und Aufrufen für den propagandistischen Widerstand gegen die pakistanische Zentralregierung einsetzt, da geht auch mit Rehana eine Veränderung vor sich. Zögernd wandelt sich die scheinbar unpolitische Mutter zu einer Amateur-Freiheitskämpferin für Bangladesch.
    Sie duldet, dass ihr Sohn und dessen Rebellenfreunde im Garten neben den Rosenbüschen Waffen vergraben. Sie pflegt heimlich einenangeschossenen Major der pakistanischen Armee, der wie alle bengalischen Regimenter zu den Aufständischen übergelaufen ist und nun von Rehana in ihrem Gartenhaus versteckt wird. Sie rettet einen anderen Aufständischen, den Schwiegersohn ihrer Nachbarin, aus den Folterkellern der pakistanischen Besatzer, indem sie ihren Schwager aus Lahore, der aufseiten der Armee als eine Art Polit-Kommissar in Dhaka einmarschiert ist, moralisch erpresst. Und sie wechselt zeitweilig von Dhaka nach Kalkutta, um dort in den überfüllten Flüchtlingslagern als Sanitäterin zu helfen.
    Am Ende hat Rehana – ein positives Gegenstück zu Brechts Mutter Courage – sich und ihre Kinder lebend durch den Bürgerkrieg gerettet, allerdings um einen hohen Preis. Ihr sind moralische Entscheidungen abverlangt worden, die sie vor sich selbst nur schwer rechtfertigen kann. Dass diese Heldin auch dunkle und problematische Charakterzüge hat, die sie zu kaltblütigem Diebstahl ebenso wie auch zu Liebesverrat befähigen, wird dem Leser schon bald zu verstehen gegeben.
    Tahmima Anam gönnt dem Leser das schlichte Vergnügen herkömmlicher realistischer Erzählmuster. Ihre folkloristische Detailfreude, was Rehanas Haushaltsführung, Speisezettel und Kleiderwahl angeht, muss man als Leser nicht goutieren. Sie bettet ihre Familiensaga ein in das besondere kulturelle und geographische Setting des brütend heißen Sumpflandes Bengalen im Mündungsdelta des Ganges, wie es unterm Monsun dampft, unter Gewittern brodelt und ständig mit den Strömen kämpft, die ihre Wassermassen vom Himalaya her in die Tiefebene ergießen. Der jahreszeitliche Zyklus des ewigen Auf und Ab des Wassers inspiriert die Autorin zu einer gleichermaßen zyklischen Schau von Geschichte: «Jedes Jahr verschwindet das Land unter Wasser und verwandelt sich in ein Meer und taucht dann wie durch ein Wunder wieder auf. Dieser Refrain, diese ewige Wiederkehr, ist das Archiv seiner langen, von der Flut bestimmten Geschichte.»
    Die Gründungsmythen der Staaten auf dem indischen Subkontinent, die heroischen, tragischen und tragigrotesken Krisen in der kurzen postkolonialen Geschichte Pakistans und der noch kürzeren Geschichte Bangladeschs sind dankbare Erzählstoffe, mit denen sichnicht wenige pakistanische Autoren retrospektiv auseinandergesetzt haben. Andere Autoren des Subkontinents – meist selbst Migranten oder die Kinder von Migranten – richten ihr Augenmerk eher auf pakistanische Auswanderer und Flüchtlinge. In ihren durchwegs auf Englisch geschriebenen Romanen untersuchen sie, wie Immigranten vom Subkontinent in ihrem Zufluchtsland Großbritannien mit dem kulturellen Gepäck an Normen, Traditionen und Denkweisen zurechtkommen, das sie aus ihren Herkunftsländern in die Diaspora mitgeschleppt haben. Monica Ali, die aus Bangladesch gebürtig ist, Nadeem Aslam, der aus Pakistan stammt, oder Hanif Kureishi, der Sohn eines pakistanischen Einwanderers, beispielsweise erzählen Geschichten über den Zusammenprall islamischer Wert- und Moralvorstellungen mit der Liberalität der westlichen Moderne. In diesem Zusammenhang werden in mehreren dieser Romane auch die Radikalisierung junger Pakistanis im Westen und der wachsende Einfluss des militanten politischen Islam auf Immigranten in Großbritannien kritisch reflektiert. An

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