Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
anderer Stelle in diesem Buch, im Kapitel «Das Rätsel der Ankunft. In den indischen Enklaven», werden diese Geschichten über scheiternde oder gelingende Integrationen im Westen ausführlich vorgestellt.
Es gibt freilich auch eine Migrationsbewegung in umgekehrter Richtung â vom Westen zurück ins Ursprungsland. Enttäuschte Auswanderer vom Subkontinent treten nach desillusionierenden Erfahrungen im Westen den Rückzug in die alte Heimat an. Eine der Ursachen solcher Remigrationen ist das wachsende Misstrauen und die zunehmende Entfremdung zwischen dem Westen und der islamischen Welt â eine Folge nicht zuletzt der New Yorker Anschläge vom 11. September 2001, die eine Dynamik wechselseitiger Verdächtigungen in Gang setzten.
Nine Eleven
ist damit als gedächtnisprägende Chiffre der Periodisierung neben die historischen Gedenkdaten von Unabhängigkeit, Teilung und Sezession auf dem Subkontinent, 1947 und 1971, getreten.
Der pakistanische Autor Mohsin Hamid ist ein Rückwanderer, wenngleich einer ohne persönliche Ressentiments, und er macht Rückwanderung auch zu seinem literarischen Thema. Der seit
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ständig zunehmende wechselseitige Argwohn zwischen West und Ost, der auch die Kommunikation zwischen den USA und Pakistan bedrohlich stört und eine Remigration in Gang setzen kann, liegt vor allem Hamids zweitem Roman zugrunde, der ihn als Autor weltweit bekannt gemacht hat und auch verfilmt wurde: «Der Fundamentalist, der keiner sein wollte». Darin entfremdet sich ein glänzend integrierter pakistanischer Zuwanderer in New York so gründlich von Amerika, dass ihm nach
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die Rückkehr nach Lahore und die Radikalisierung zwingend erscheinen, mit allen ominösen politischen Konsequenzen.
Mohsin Hamid wurde 1971 in Lahore, Pakistans zweitgröÃter Stadt, geboren und in den USA ausgebildet; er studierte in Harvard Jura und in Princeton Literatur und war mehrere Jahre in New York bei der Unternehmensberatung McKinsey tätig. Er arbeitete noch als Unternehmensberater, während er bereits an seinem ersten Roman schrieb: «Nachtschmetterlinge» (2000), einem gnadenlosen Porträt der dekadenten Reichen und Schönen von Lahore, die all jenen Dingen frönen, die im «Staat der Reinen» angeblich nicht vorkommen: Ehebruch, Drogen und Alkohol.
Danach pendelte Hamid jahrelang als freier Autor zwischen London, New York, Pakistan und den Mittelmeerländern. Derzeit lebt er mit seiner Familie wieder in Lahore. Sein dritter Roman «So wirst du stinkreich im boomenden Asien» ist sein erster, der zur Gänze in Pakistan entstand. In Interviews betont Hamid immer wieder, ganz ähnlich in der Wortwahl wie Salman Rushdie, wie stark er sich selbst als Hybrid empfindet, als pakistanisch-amerikanische Kreuzung mit mehrfachen Zugehörigkeiten. Wie Rushdie rühmt er die «Kontamination», die kulturelle Verunreinigung, als erstrebenswert und möchte keinesfalls gezwungen sein, sich auf eine Seite zu schlagen. Reinheitsphantasien hält er nur für schädlich. Auch für ihn gilt Aatish Taseers Motto: «Mischformen bereichern die Welt.»
Er halte Hybridität für den Naturzustand, für die Norm, betont Hamid immer wieder in Interviews: «Jede Persönlichkeit ist eine Sammlung unterschiedlicher Identitäten. Hybridität muss als etwas dem Menschen Wesentliches anerkannt werden.» Wenn Menschendarauf konditioniert werden zu glauben, sich für eine Seite entscheiden zu müssen, dann üben sie Gewalt gegen sich selbst â «und die geht manchmal mit Gewalt gegen die äuÃere Welt einher». Nationale, ethnische, religiöse Einheitlichkeit sei ein soziales Konstrukt, eine künstliche Vereinseitigung der natürlichen Vielfalt.
Eine solch souveräne transkulturelle Balance, wie Hamid sie für sich selbst gefunden hat und bewusst auslebt, gesteht er seinen Romanhelden noch lange nicht zu. Seine Protagonisten plagen sich vielmehr mit allen Ãbeln, an denen nicht nur Pakistan, sondern das ganze boomende Asien heutzutage laboriert. Insofern gehört Mohsin Hamid einer stark auf das Jetzt fokussierten neuen Autorengeneration an, die auf die postkoloniale Generation eines Salman Rushdie, Nadeem Aslam, Mohammed Hanif oder Hanif Kureishi folgte und deren Themen â wie die wüsten Unabhängigkeitswirren des Subkontinents oder die retrospektive Aufarbeitung aller
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