Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
Zudringlichkeiten und Ãbergriffe des aktuellen Regimes vom Leibe zu halten â durch Spott. Nicht seine weltbekannten GroÃverbrechen werden dem irakischen Despoten in diesenRomanen vorgeworfen; vorgeführt werden vielmehr die lachhaften, kleinlichen Alltagsschikanen seines paranoiden Zwangsregimes, in den Gefängnissen und auÃerhalb â wobei das AuÃerhalb auch eine Art Gefängnis ist.
Ihre Helden sind jung und erlebnishungrig und würden gern unbekümmert das Leben erkunden und genieÃen â wäre da nicht der tagtägliche Druck eines totalen Ãberwachungsstaats, dessen Geheimpolizei alle LebensäuÃerungen zu kontrollieren und durch Verbote zu unterdrücken sucht. Die Waffen dieser jungen Romanhelden sind Frechheit und Hohn. Sie wehren sich gegen die permanente Bedrohung, indem sie dem Einschüchterungsapparat den Respekt versagen. Sie spotten über die Zustände im Land und lachen über die Idiotien der irakischen Alltagsdiktatur. Wobei Sinan Antoon leichter lachen hat als Abbas Khider, der Saddams Gefängnisse von innen kennenlernte und gefoltert wurde.
Der Spott beider Autoren ist konkret, er reagiert gereizt auf konkrete Anlässe. Und auf Hohn allein lässt sich eben kein Epochenroman errichten â weshalb die Irak-Erzählungen Sinan Antoons und Abbas Khiders als schlanke Kurzromane einherfedern. Diese Autoren sind hämische Beobachter. Ihre sarkastische Spottsucht lässt sich keinen Ãbergriff des Saddam-Regimes entgehen, sei er grausam oder tölpelhaft oder beides. Sie schauen hinter dessen brutale Machtpolitik â und was sie dort wahrnehmen, sind absurder Bürokratismus, Dummheit, Feigheit und groteske Inkompetenz.
Sinan Antoon wurde als Sohn eines irakisch-christlichen Vaters und einer amerikanischen Mutter in Bagdad geboren, er hat wie Pius Alibek chaldäische Wurzeln. Er wuchs wie Abbas Khider in einer Zeit auf, als sich Saddam Hussein den Irak buchstäblich zum Ein-Mann-Staat zurechtmodelliert hatte: Als Multi-Machthaber war der Diktator zugleich Staatspräsident, Vorsitzender des Revolutionsrats, Generalsekretär der Baath-Partei und Oberkommandierender der Streitkräfte und ab 1994 zudem noch Regierungschef und Alleinverantwortlicher für die AuÃenpolitik. Vom irakischen Alltag unter dem lähmenden und entwürdigenden Druck der allgegenwärtigen und allmächtigen Tyrannei dieses einen Mannes, der in der deutschen Ãbersetzung desBuches naheliegenderweise immer nur der Gröfaz genannt wird, der GröÃte Führer Aller Zeiten, handelt Sinan Antoons satirischer Roman «Irakische Rhapsodie».
Sein Protagonist Furât ist, wie der Autor selbst, in den 1980er Jahren Student für Englisch und Französisch an der Universität Bagdad. Er hat das Glück, wegen einer leichten Behinderung von der Rekrutierungskommission des Verteidigungsministeriums als untauglich eingestuft und vom Militärdienst befreit zu werden, was ihn vor dem Einrücken in den Ersten Golfkrieg, den Feldzug gegen den Iran, bewahrt. Dafür bringt sein loses Mundwerk den aufsässigen Furât ins Gefängnis (was seinem Autor Antoon erspart geblieben ist).
Der Roman hat die Form einer Reinschrift von Furâts Gefängnisnotizen durch einen einfältigen Mitarbeiter der Staatssicherheit. Dieser stolpert unentwegt über Furâts staatsfeindliche Scherze und böse Wortspiele und müht sich ab, dessen abgefeimte politische Sottisen zu entziffern â wenn ihm das wieder mal gelungen ist, hängt er erläuternde FuÃnoten von erlesener Trotteligkeit an den Text. In Furâts Notizen verschwimmen ständig tatsächliche Erlebnisse, Erinnerungen und Albträume miteinander, bis zur Ununterscheidbarkeit.
Realität oder Angsttraum? Furât sieht seinen Alltag von lauter Verboten umstellt; unentwegt prallt er an Barrieren, die der bürokratische Aberwitz um ihn hochzieht. «â¹Verboten⺠war das meistgebrauchte Wort im Lande», notiert er in seinen Gefängnisblättern. Tatsächlich ist im Irak so gut wie alles verboten. Auslandsreisen sind nicht gestattet, jeglicher Flussverkehr auf dem Tigris ist untersagt (damit sich niemand von der Wasserseite her den Ufer-Villen des Gröfaz und seiner Höflinge nähern kann). Die meisten Bücher sind verboten, vor allem natürlich George Orwells visionäre Ãberwachungsdystopie «1984» â schon deshalb, weil die
Weitere Kostenlose Bücher