Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
Ãberwachung der irakischen Bürger durchaus Orwellsche AusmaÃe angenommen hat.
So wird etwa (Fakt oder Fiktion?) die angemessene GröÃe der Gröfaz-Porträts überprüft, die die Bürger zu Hause hängen haben müssen. An der Universität hat jede Fachabteilung einen eigenen Sicherheitsoffizier, der das Tun und Lassen, Denken und Reden jedes Studenten an die Staatspolizei zu melden hat, beispielsweise die Intensitätder Begeisterungsbezeugungen bei staatlichen Jubelfeiern zu Ehren des Gröfaz. Dass Furât stets die Hände in den Hosentaschen belässt und nicht mitklatscht, gilt da schon als mutiger Akt des Widerstands. Er ist stolz darauf, «dass ich in meinem Privatleben permanent den gesetzlichen Bestimmungen zuwiderhandelte und mich auf meine ganz persönliche Art am Regime rächte».
Für alle Studenten sind die Baath-Ideologie und die Reden des Gröfaz Pflichtfächer in den ersten beiden Jahren. «Unter Aufsicht der baathistischen Absurditätspartei durchleben wir seit Jahrzehnten ein Fest der Dauerabsurdität», höhnt Furât in seinen Notizen. Die Professoren sind zumeist elende Tröpfe, die ihren Lehrstuhl am allerwenigsten ihrer Gelehrsamkeit zu verdanken haben â Anlass für so manche Stänkereien des Lästermauls Furât: «Professor Târik, dieser exquisite Tor, hatte seinen Master in englischer Sprachwissenschaft und Literatur für aufopfernde Dienste für die Partei in den Kriegsjahren, für die Bespitzelung von Kollegen und die Abfassung von Berichten, nicht aber für gründliche Kenntnisse der Sprache erhalten. â¹Wer ist überhaupt dieser Orwell?âº, fragte er. â¹Ich habe noch nie von ihm gehört.âºÂ»
Furât spottet über die Zeitungen, die «für die Partei und die Revolution kläfften und grunzten», und er mokiert sich darüber, dass die Abendnachrichten im Fernsehen stundenlang dauern, wegen der Hofberichterstattungsexzesse über die GroÃtaten des Gröfaz. Als infolge der UN-Sanktionen sogar das Klopapier im Lande knapp wird, greift er auf Zeitungspapier zurück, um sich vorzugsweise mit den Titelseiten â stets mit einem Foto des Gröfaz â den Hintern zu wischen. Eine Geste insgeheimer Aufsässigkeit, für die er nicht belangt werden kann.
Sehr wohl belangt werden kann er allerdings für seine losen Reden. Vergeblich warnen ihn Freunde: «Halte deine Zunge im Zaum, mein Junge. Sie werden dich einlochen.» Genau so geschieht es. Furât wird verhaftet und kommt erst frei und in den Genuss einer Generalamnestie für politische Gefangene, als eine Gruppe namens «Freier Irak» putscht und der Diktator flüchtet, um in Libyen um Asyl zu bitten. Spätestens hier wandelt sich der Roman vom Albtraum zum Wunschtraum.
Zu Sinan Antoons und Abbas Khiders Jugendzeit gab es kein Satellitenfernsehen und erst recht kein Internet im Irak; E-Mails und soziale Netzwerke, gar die arabischen Facebook- und Twitter-Revolutionen lagen noch in ferner Zukunft; doch auch ohne solche Medienhilfe driftete der Gymnasiast Khider in Bagdad in den Widerstand und wurde politisch aktiv. Seine Eltern verkauften Datteln auf dem Basar, duckten sich ängstlich und waren bereit, sich jedem, der die Macht hatte, zu beugen â schon um ihrer neun Kinder willen. Der Sohn hingegen arbeitete auf einem Bücherbasar, traf dort die falschen Leute, nämlich solche, die in verbotenen Parteien tätig waren, und schrieb und verteilte Flugblätter mit kindlichen Parolen wie «Nieder mit Saddam» gegen den Despoten, der gerade im Zweiten Golfkrieg geschlagen und aus dem besetzten Kuwait vertrieben worden war.
Khider wurde verhaftet. «Eines Tages tauchte der irakische Geheimdienst bei uns zu Hause auf. Anderthalb Jahre und genau vier Tage meines Lebens musste ich daraufhin im Gefängnis verbringen, weil ich mit einigen Freunden, die mit verbotenen Parteien zusammenarbeiteten, schlecht über den Präsidenten und dessen Partei gesprochen und diesen Freunden beim Verteilen von Flugblättern geholfen hatte», liest man in Khiders Debütroman «Der falsche Inder».
Im Untersuchungsgefängnis wurde Khider geprügelt und bekam tagelang nichts zu essen. Die Hungerfolter war so quälend, dass er sich nach Abu Ghuraib sehnte, denn dort, so hatte er gehört, bekamen die Häftlinge drei Stück Brot pro Tag. 1996 gelang ihm mit einem
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