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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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gefälschten Pass die Flucht aus dem Irak. Drei Jahre lang schlug er sich in mehreren Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas als illegaler Flüchtling durch, arbeitete schwarz auf Baustellen und in Kneipen, lebte lange genug in Libyen, «sodass sich viele Wörter der libyschen Umgangssprache mit meinen irakischen vermischten», driftete dann nach Europa und gelangte von der Türkei über Griechenland und Italien nach Deutschland, wo seine Odyssee im Jahr 2000 im Bahnhof von Ansbach ein Ende fand, als er von zwei bayerischen Polizisten ohne Pass erwischt und festgenommen wurde. Seither lebt der Asylant Abbas Khider in Deutschland, studierte Philosophie und Literaturwissenschaft in München, besitzt inzwischen einen deutschen Pass undwohnt in Berlin-Neukölln. Als Autor ist er ein Sprachwechsler ins Deutsche.
    Da Abbas Khider einen freien, friedlichen und toleranten Irak nie gekannt hat, gehören Nostalgie und Trauer über die verlorene Heimat auch nicht zum Gefühlsrepertoire seiner Romane. Sein Überlebensmittel ist der Humor – in der Realität wie in der Literatur. Im Gefängnis rettet ihn zum einen seine Begabung zum Geschichtenerzählen, zum anderen sein Sinn für Komik das seelische Gleichgewicht. Mit Humor wappnet er sich gegen alle Ohnmachtserfahrungen des Flüchtlingsund Asylantendaseins, so wie er sich im irakischen Kerker mit «Trauerlachen» den Prügelexzessen der Gefängniswärter widersetzte. Sein Roman-Ich entwaffnet seine Peiniger durch Gelächter. «Das Lachen machte mich unempfindlich gegenüber dem Schmerz, gegenüber der Angst und gegenüber der Verzweiflung.»
    Besonders einen Wärter, der ihn an Charlie Chaplin erinnert, bringt er durch einen prustenden Lachanfall völlig aus seinem Prügelkonzept, sodass er und die anderen Wärter vor Überraschung die Knüppel fallen lassen, wie man im Roman «Die Orangen des Präsidenten» liest. «Die Wärter waren so verstört, dass sie nicht wussten, wie sie auf die Situation reagieren sollten, und verließen schließlich kopfschüttelnd und mit einem Gesichtsausdruck, als sei ihre gesamte Weltanschauung in Zweifel gezogen, unsere Zelle. Meine Mitgefangenen starrten mich aus ihren eingefallenen Gesichtern zutiefst befremdet an. Irgendwann hörte ich ebenso plötzlich mit dem Lachen auf, wie ich es begonnen hatte. Und ich stellte zu meiner eigenen Verwunderung fest, dass ich bei äußerst klarem Verstand war.»
    Das Lachen schottet Khiders Romanhelden gegen ihre schrecklichen Erlebnisse ab. Und indem der Autor selbst der Folter eine ganz eigene sprachliche Form entgegenstellt, «entsteht ein Raum, den die Folterer nicht antasten können. Der Vorgang selbst wird dann banal und lächerlich», sagte Khider in einem Interview. Das Schreiben über die Folter nennt er «eine Dämonenaustreibung und eine Rache an denen, die mir Schmerz zugefügt haben. Eigentlich sind alle meine Romane eine Art Rache. Am Ende bin ich es, der zurückschlägt. Ich triumphiere mit den Mitteln der Literatur.»
    Der Sprachwechsel vom Arabischen ins Deutsche tut ein Übriges, um dem Autor die innere Selbstdistanzierung von den Zumutungen der Außenwelt zu erleichtern. «Wenn ich auf Arabisch schreibe, handelt alles von Leid. Das Deutsche hält mich auf Distanz», so Khider. Die fremde Sprache verfremdet auch das Erzählte und gibt ihm eine andere Leichtigkeit. Dieser lakonische Tonfall, ein nüchterner Gestus von unerschütterlicher Pfiffigkeit, macht aus Khiders Folter- und Fluchtgeschichten fast eine Art Schelmenroman. Er wechselt die Erzählstimmen, spielt mit der Chronologie, hüpft durch die Zeiten, lässt seinen Erzählfluss durch Apropos bestimmen und mischt Gefängnisaufzeichnungen mit Kindheitserinnerungen und Episoden aus dem Flüchtlingsleben, über deren Merkwürdigkeit Khiders Erzähler im Nachhinein nur den Kopf schütteln kann. Im Rückblick sorgen sogar die Haftjahre für so etwas wie grimmige Erheiterung. Wie jedes Jahr hoffen die politischen Gefangenen vor Saddams Geburtstag auf eine Amnestie. Doch vergebens. Statt Freiheit erhält jeder eine saftige Orange.
    Auch wenn das nach dem Zweiten Golfkrieg von den Vereinten Nationen verhängte Handelsembargo die irakische Bevölkerung verarmen ließ: Orangen waren meistens lieferbar. Auch Auberginen waren stets vorhanden, sogar im Überfluss, sodass

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