Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler
die Iraker laut Abbas Khider ihrem Land den spöttischen Beinamen «Auberginenrepublik» verpassten. Ungleich schwieriger war es für Exil-Iraker â und es gab fast sechs Millionen Iraker, die während Saddams Diktatur im Exil lebten â, Briefe an der Zensur vorbei in die Heimat zu schmuggeln. Ein solcher Brief, den ein irakischer Exilant in Libyen an seine Freundin nach Bagdad schicken will, ist der eigentliche Protagonist in Abbas Khiders drittem Roman «Brief in die Auberginenrepublik».
Es ist ein Liebesbrief, der im Oktober 1999 durch viele Hände geht, aber seine Adressatin nie erreicht. Geschrieben hat ihn Salim, wiederum einer von Khiders charakteristischen Romanhelden: ein junger, politisch verfolgter Iraker, der im unfreiwilligen und meist illegalen Exil lebt. Salim ist ein ehemaliger Student an der Universität Bagdad, der wegen Lesens verbotener Bücher in Haft kam und gefoltert wurde. Ein einflussreicher Onkel bestach die Verhörpolizisten,erreichte die Freilassung des Neffen und ermöglichte ihm die Flucht erst nach Syrien, dann weiter nach Libyen.
Als illegaler Schwarzarbeiter schlägt sich Salim nun in der libyschen Hafenstadt Benghasi auf dem Bau durch. Er leidet nicht nur unter Heimweh, sondern wie alle irakischen Flüchtlinge auch unter der Sorge, ein auf dem normalen Postweg geschickter Brief könnte in falsche Hände geraten und die Lieben daheim in Schwierigkeiten, wenn nicht sogar ins Gefängnis bringen. Wie also der geliebten Samia in Bagdad ein Lebenszeichen schicken, ohne sie zu gefährden?
Zufällig erfährt Salim von der Existenz eines illegalen Kurierdienstes, der heimlich Post in den Irak schleust, über mehrere Etappen. Dieses klandestine Netzwerk umfasst die ganze Region von Nordafrika bis zum Persischen Golf. Die Fahrer von Sammeltaxis, Bussen und Lastwagen gehören zu einem illegalen Zustelldienst, der Post aus Libyen über die Zwischenstationen Kairo und Aqaba in die jordanische Hauptstadt Amman schmuggelt und von dort weiter per Lkw nach Bagdad. Im Jahr 1999 war das ein riskantes Unternehmen, denn damals saÃen die Diktatoren Gaddafi, Mubarak, Hafiz al-Assad und Saddam noch fest im Sattel.
Das Ganze ist ein lukratives geheimes Nebengeschäft, das von diversen Reisebüros in Ãgypten und Jordanien organisiert wird, die sich daran eine goldene Nase verdienen. Denn die Sache ist nicht billig: 200 Dollar kostet das Porto für einen Brief â das ist anderthalb mal so viel, wie Salim im Monat auf dem Bau verdient. Weitere 50 Dollar sind fällig, wenn ein Antwortbrief kommt.
Abbas Khider begleitet Salims Brief durch sieben Romankapitel und lässt insgesamt sieben Ich-Erzähler von unterwegs zu Wort kommen â Leute, die den Brief transportieren und weiterreichen oder ihn in die Hände gespielt bekommen, zwischendurch aber auch einprägsame Einzelheiten aus ihrem eigenen Leben preisgeben. Der Autor hat in seinem dritten Roman seinen Blickwinkel und sein Figurenensemble deutlich erweitert. Zu Wort kommen einflussreiche und einflusslose Gestalten, gerissene Geschäftemacher und ehrliche Taxi-Kuriere, zwielichtige Zwischenträger, harmlose Schwarzarbeiter und sadistische Geheimpolizisten.
Mit leichter Hand skizziert Abbas Khider sein Romanpersonal in knappen, doch prägnanten Porträts, wobei allmählich klar wird, dass ganz andere Instanzen die eigentlichen Strippenzieher sind und dass der Brief auch von Augen gelesen wird, die nicht dazu befugt sind. Kein Netzwerk kann so geheim sein, dass es nicht von einem noch geheimeren Netzwerk überwacht, unterwandert, manipuliert und gelenkt würde. Korruption, Doppelspiel, Betrug und Täuschung sind auch in diesem scheinbar widerständigen Untergrund-Kurierdienst allgegenwärtig. Wie beiläufig wird auÃerdem eine Liebesgeschichte erkennbar, die an den ethnischen und religiösen Barrieren im Irak scheitert; denn Salim ist ein irakischer Muslim, seine geliebte und schlieÃlich verschwundene Freundin Samia Michael hingegen ist eine kurdische Christin. Was aus ihr geworden ist, bleibt offen. Der Liebesbrief wird sie nie erreichen.
Auffallend, aber wenig überraschend ist eine Eigentümlichkeit der Romane Sinan Antoons und Abbas Khiders: Der Irak als topographische und biotopische Gegebenheit, als gewachsene Landschaft und urbane Umwelt, als Natur- und Kulturraum kommt in diesen Romanen nicht vor; den Protagonisten fehlt jede
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