Die Orks 01 - Die Rückkehr der Orks
Also?«
Alannah überlegte.
Dem Unhold ihr Seelenleben zu offenbaren, kam für sie nicht infrage. Ganz abgesehen davon, dass der Ork nichts begriffen hätte, denn Gefühle kannten diese primitiven, von Instinkten geleiteten Kreaturen nicht. Es war schon demütigend genug für Alannah, dass sie sich von zwei Orks hatte befreien lassen müssen. Noch mehr Erniedrigung ließ ihr Stolz nicht zu.
Andererseits war dieser Rammar dumm genug, seine Drohung wahr zu machen, wenn sie nicht einlenkte. Deshalb behauptete sie: »Ich bin neugierig darauf, wer euer Auftraggeber ist. Deshalb habe ich euch geholfen, von Shakara zu entkommen, und aus diesem Grund habe ich euch auch die Lage der Südpassage verraten.«
»Das ist alles?«, fragte Rammar skeptisch.
»Das ist alles. Es ist offensichtlich, dass ihr nicht auf eigene Rechnung arbeitet, und da ihr mir nicht verraten wollt, in wessen Diensten ihr steht, werde ich diese Reise wohl oder übel bis zum Ende mitmachen müssen, wenn ich eine Antwort auf diese Frage erhalten möchte.«
»Hmm …«, knurrte Rammar und musterte sie misstrauisch.
»Außerdem«, fügte sie hinzu, »bin ich beeindruckt.«
»Beeindruckt?« Er schaute sie verwundert an. »Wovon?«
»Bislang habe ich Orks für feige, verschlagene Kreaturen gehalten. Ihr beide jedoch – und besonders du, Rammar – seid tapfere Krieger, die den Kampf nicht scheuen. Ihr habt viel Wagemut bewiesen. Wenn ihr versprecht, mich anständig zu behandeln, versichere ich euch, dass ich nicht versuchen werde zu fliehen.«
Obwohl Alannah keine Übung darin hatte, das Mienenspiel eines Orks zu deuten, konnte sie erkennen, dass sich Rammar überaus geschmeichelt fühlte. Für derartige Komplimente und Schöngerede waren die Unholde schon immer empfänglich gewesen, das wusste sie. Und bei Rammar schien dies sogar in besonderem Maße zuzutreffen …
»Gibst du mir dein Wort darauf, dass du nicht fliehen wirst?«, fragte er. »Es heißt, Elfen pflegen ihre Versprechen zu halten, da sie stets die Wahrheit sagen.«
»So heißt es«, bestätigte Alannah, auch wenn sie gerade dabei war, mit dieser Tradition zu brechen. Als Hohepriesterin von Shakara wissentlich die Unwahrheit zu sagen, selbst wenn ihr Leben davon abhing, war eine Ungeheuerlichkeit und ein Verstoß gegen alle Sitten und Regeln. Nun tat sie es zum zweiten Mal kurz hintereinander: Das erste Mal hatte sie gelogen, als sie dem Ork geschmeichelt hatte, und nun versprach sie ihm auch noch, nicht zu fliehen.
Natürlich hatte Alannah genau dies vor.
Ganz am Anfang hatte sie sich gegen ihre Entführung gewehrt und gehofft, dass die Orks gefasst und für ihre Frechheit bestraft wurden. Aber als es den Unholden – aus welchem Grund auch immer – gelungen war, das Tor Farawyns zu öffnen, war ihr ein tollkühner Gedanke durch den Kopf geschossen.
Hatte sie sich nicht die ganze Zeit über nach Abwechslung gesehnt, nach einem Ausbruch aus ihrer erdrückenden Langeweile? Hatte sie nicht verzweifelt darauf gewartet, dass jemand kam und sie aus der Eintönigkeit ihres Daseins befreite? Gewiss, diese Befreiung war anders verlaufen, als sie sich das vorgestellt hatte, und ihre Retter waren keine edlen Recken, sondern zwei stinkende Orks. Aber Alannah hatte erkannt, dass ihre Verschleppung durch diese beiden Kreaturen eine hervorragende Möglichkeit war, den Mauern von Shakara zu entkommen, ohne dass ihr eigener Name dabei Schaden nahm. Wäre sie mit einem edlen Helden geflohen, zudem noch mit einem Elfen wie Fürst Loreto, dem ihr Herz gehörte, wäre sie bei den anderen Elfen für immer in Ungnade gefallen, wäre auf ewig eine Verbannte und Ausgestoßene gewesen. Nun aber mussten alle annehmen, dass sie gezwungen worden war, Shakara zu verlassen, dass sie es gegen ihren Willen getan hatte. So stand sie nicht als Täterin da, sondern war in den Augen der anderen ein bemitleidenswertes Opfer.
Sie hatte nicht vor, sich an das Versprechen zu halten, das sie dem Ork gegeben hatte. Sobald sie den Nordwall hinter sich gelassen hatten und außer Reichweite der Tempelwachen waren, würde sie fliehen und sich auf eigene Faust nach Süden durchschlagen. Ihr Ziel war Tirgas Dun, die Elfenstadt an der Meeresküste. Dort würde sie Loreto zur Rede stellen, ihren lieblosen Geliebten, der sie so schmählich im Stich gelassen hatte.
Die Zeit drängte. Loreto hatte ihr geschrieben, dass er schon bald nach den Fernen Gestaden aufbrechen wollte. Alannah musste sich also beeilen. Nur wenige Tage
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