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Die Pfeiler der Macht

Die Pfeiler der Macht

Titel: Die Pfeiler der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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erkannte sofort, daß sie keine geborene Lady war. Aber sie spielte ihre Rolle so gut und war so hübsch und charmant, daß man einfach nicht gewillt war, dem hartnäckigen Gerücht, Solly habe sie in einem öffentlichen Tanzlokal aufgegabelt, Glauben zu schenken. Letzte Zweifel, die ihrer Akzeptanz in der Londoner Gesellschaft entgegenstehen mochten, hatte der Prince of Wales, Sohn der Königin Victoria und künftiger König, beseitigt, als er eines Tages bekannte, von Maisie »fasziniert« zu sein, und ihr eine goldene Zigarettendose mit Diamantverschluß übersandte.
    Mit zunehmender Dauer des Abendessens spürte sie Hughs Nähe immer intensiver. Sie bemühte sich, das Gespräch auf dem Niveau einer leichten Plauderei zu halten, und achtete darauf, daß sie sich mindestens ebensooft mit dem Mann zu ihrer Rechten unterhielt. Aber die Vergangenheit stand hinter ihr wie ein müder, geduldiger Bittsteller, der sich nicht abschütteln läßt. Sie hatten sich zwar seit Hughs Rückkehr nach London schon drei- oder viermal gesehen und die letzten achtundvierzig Stunden sogar unter einem Dach zugebracht, doch waren sie bislang noch mit keinem Wort auf das, was sechs Jahre zuvor zwischen ihnen geschehen war, zu sprechen gekommen. Für Hugh war sie damals spurlos verschwunden, um eines Tages als Mrs. Solomon Greenbourne wieder aufzutauchen. Mehr wußte er nicht. Früher oder später, soviel stand fest, würde sie ihm ihr damaliges Verhalten erklären müssen. Maisie fürchtete jedoch, ein Gespräch über die Vergangenheit könne auch die Gefühle jener Zeit zu neuem Leben erwecken. Doch vermeiden ließ sich eine Aussprache ohnehin nicht, und vielleicht bot sich ja in Sollys Abwesenheit eine günstige Gelegenheit.
    Als mehrere andere Dinnergäste in ihrer Nachbarschaft in eine lautstarke Diskussion vertieft waren, hielt Maisie den Augenblick für gekommen. Sie wandte sich um, sah Hugh in die Augen - und wurde im selben Augenblick von ihren Emotionen überwältigt. Drei- oder viermal hob sie zu sprechen an, brachte jedoch keinen Ton heraus.
    Schließlich gelang es ihr, ein paar Worte hervorzustoßen. »Ich hätte dir deine Karriere zerstört«, sagte sie stockend und verstummte sogleich wieder, weil sie alle Kraft zusammennehmen mußte, um nicht in Tränen auszubrechen. Hugh verstand sofort, worum es ging.
    »Wer hat dir denn das eingeredet?« fragte er.
    Hätte er die Frage in einem mitfühlenden Ton gestellt, wäre es möglicherweise endgültig um Maisies Fassung geschehen gewesen. Zum Glück klang sie ziemlich aggressiv, so daß ihr die Antwort nicht schwerfiel: »Deine Tante Augusta!«
    »Daß sie dahintersteckte, dachte ich mir schon.«
    »Aber sie hatte ja recht!«
    »Das glaube ich nicht«, erwiderte Hugh, der sich jetzt rasch ereiferte. »Du hast ja Sollys Karriere auch nicht zerstört.«
    »So beruhige dich doch! Im Gegensatz zu dir war Solly nicht schon vorher das schwarze Schaf der Familie. Es war trotzdem schwierig genug. Seine Familie haßt mich bis auf den heutigen Tag.«
    »Obwohl du Jüdin bist?«
    »Ja. Juden können genau solche Snobs sein wie alle anderen auch.« Den wahren Grund - nämlich Bertie, der nicht Sollys Sohn war - durfte Hugh nie erfahren.
    »Wieso hast du mir nicht einfach gesagt, was du vorhattest - und warum?«
    »Ich konnte es nicht.« Die Erinnerung an jene schlimmen Tage schnürte ihr die Kehle zu, so daß sie tief durchatmen mußte, ehe sie weitersprechen konnte. »Es ist mir sehr schwergefallen, mich so abzuschotten. Es brach mir schier das Herz. Mich auch dir gegenüber noch rechtfertigen zu müssen wäre über meine Kräfte gegangen.«
    »Du hättest mir schreiben können«, hakte er nach. Maisies Stimme war nurmehr ein Flüstern: »Ich brachte es einfach nicht fertig, es dir schriftlich zu geben.« Endlich schien er einigermaßen zufriedengestellt. Er trank einen Schluck Wein und wandte den Blick von ihr. »Es war grauenhaft«, sagte er. »Ich begriff nichts, ich hatte keine Ahnung, wo du warst, ich wußte nicht einmal, ob du noch lebtest.« Er sprach mit rauher Stimme, aber Maisie erkannte in seinen Augen die Erinnerung an den erlittenen Schmerz.
    »Es tut mir leid«, sagte sie schwach. »Es tut mir so leid, daß ich dich verletzt habe. Es war nicht meine Absicht. Ich wollte nicht, daß du unglücklich wirst. Ich tat es aus Liebe.« Kaum hatte sie das Wort Liebe ausgesprochen, da bereute sie es auch schon.
    Hugh griff es sofort auf. »Liebst du Solly jetzt?« fragte er unvermittelt.

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