Die Pfeiler der Macht
dunkel.«
»Haben Sie ihn nicht gespürt?«
»Edward hat mich einmal dran reiben lassen.«
»Und wie fühlte er sich an? Hart wie eine Kerze oder schlaff wie ein Regenwurm? Oder irgendwie dazwischen, so ungefähr wie ein Würstchen, bevor es gekocht wird?«
»Schlaff.«
»Und als Sie dran rieben? Wurde er steif?«
»Nein. Edward war sehr wütend. Er schlug mich und sagte, ich tauge nichts im Bett. Ist es denn wirklich meine Schuld, Mrs. Greenbourne?«
»Nein, es ist nicht Ihre Schuld, auch wenn die Männer meist ihre Frauen dafür verantwortlich machen. Es handelt sich um ein weitverbreitetes Problem, das man Impotenz nennt.«
»Und wodurch wird es verursacht?«
»Es gibt eine ganze Reihe von Gründen.«
»Soll das heißen, daß ich keine Kinder bekommen kann?«
»Nicht, bevor es Ihnen gelingt, seinen Johnny steif zu machen.« Emily sah aus, als wollte sie jeden Augenblick wieder in Tränen ausbrechen. »Aber ich möchte so gerne ein Baby haben! Ich bin so einsam und unglücklich ... Hätte ich ein Baby, ließe sich alles andere viel leichter ertragen.« Maisie fragte sich, worin Edwards Problem lag. Früher war er
nicht impotent gewesen, soviel stand fest. Wie kann ich Emily helfen? dachte sie. Ich könnte April fragen. Sie müßte uns sagen können, ob er immer impotent ist oder nur bei seiner Frau ... Als Maisie zum letztenmal mit April Tilsley gesprochen hatte, zählte Edward noch zu den regelmäßigen Besuchern von Nellies Bordell. Allerdings lag die Begegnung inzwischen schon einige Jahre zurück; für eine Dame aus den besten Kreisen war es nicht einfach, eine enge freundschaftliche Beziehung zu Londons führender Puffmutter zu unterhalten.
»Ich kenne da eine Dame, die ... die Edward ziemlich nahesteht«, sagte sie vorsichtig. »Vielleicht kann sie das Problem aufhellen.«
Emily schluckte. »Soll das heißen, daß Edward eine Geliebte hat? Bitte sagen Sie's mir. Es hat keinen Sinn, wenn ich mir was vormache.«
Ihre Entschlossenheit ist beeindruckend, dachte Maisie. Sie ist zwar noch ziemlich unwissend, aber sie weiß, was sie will - und sie setzt sich durch ... »Die Frau, die ich meine, ist nicht seine Geliebte«, sagte sie. »Aber wenn er eine Geliebte hat, dann weiß sie wahrscheinlich Bescheid.«
Emily nickte. »Ich würde Ihre Bekannte gerne kennenlernen.«
»Ich weiß nicht, ob Sie persönlich ...«
»Doch, doch! Edward ist mein Mann, und wenn es unangenehme Dinge auszusprechen gibt, dann müssen sie auf den Tisch.« Ihr Gesicht zeigte wieder jenen festen, eigenwilligen Ausdruck, den Maisie bereits kannte. »Ich tue alles, glauben Sie mir«, fuhr Emily fort, »wirklich alles. Wenn ich nicht aufpasse, ist mein ganzes Leben verpfuscht, eine einzige Einöde ...«
Na gut, dachte Maisie, dann werden wir deine Entschlossenheit mal auf den Prüfstand stellen ... »Meine Freundin heißt April«, sagte sie. »Sie besitzt zwei Minuten von hier, gleich beim Leicester Square, ein Bordell. Wenn Sie einverstanden sind, gehen wir gleich hin ...«
»Was ist ein Bordell?« fragte Emily.
Die Droschke hielt vor dem Eingang zu Nellie's. Maisie spähte hinaus und die Straße entlang. Kein Bekannter sollte sehen, wie sie ein Hurenhaus betrat. Der Zeitpunkt war allerdings günstig: Um diese Stunde waren die meisten Menschen aus Maisies Kreisen damit beschäftigt, sich für das bevorstehende Abendessen umzukleiden, weshalb sich auf der Straße nur ein paar arme Schlucker herumtrieben. Die beiden Frauen stiegen aus; den Kutscher hatten sie bereits im voraus bezahlt. Die Tür zum Bordell war unverschlossen.
Das Tageslicht meinte es nicht gut mit Aprils Etablissement. In der Nacht strahlt es vielleicht noch eine Art verworfenen Charme aus, dachte Maisie, aber momentan wirkt es bloß schäbig und verlottert. Die Samtbezüge der Polstermöbel waren ausgeblichen; Zigarren hatten Brandflecken und Trinkgläser ringförmige Spuren auf den Tischplatten hinterlassen. Die Seidentapeten blätterten von den Wänden, und die erotischen Gemälde wirkten nur vulgär. Eine alte Frau mit einer Pfeife im Mund fegte den Boden; das plötzliche Erscheinen zweier gut und teuer gekleideter Damen aus der besseren Gesellschaft schien sie nicht sonderlich zu überraschen. Maisies Frage nach April beantwortete sie, indem sie mit gerecktem Daumen auf die nach oben führende Treppe verwies. Sie fanden April in einer Küche im ersten Stock, wo sie mit ein paar anderen Frauen am Tisch saß und Tee trank. Alle Anwesenden trugen
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