Die Philosophin
sich noch einmal um.
»Was muss das für eine wunderbare Liebe sein, dass du sie der Liebe des Königs vorziehst.«
Vollkommen irritiert, in einer Mischung aus Verständnislosigkeit und überwundener Angst, blieb Sophie zurück.
Die Liebe des Königs?
Es dauerte bis zum späten Abend, ehe sie Antwort auf ihre Frage bekam. Robert sollte das Rätsel lösen. Sie fand ihn in der Küche, wo er im Schein einer Kerze las, das Kinn in beide Hände gestützt, ganz und gar vertieft in seine Lektüre. Auf dem Tisch vor ihm lag die aufgeschlagene Enzyklopädie.
Als Sophie ihn ansprach, blickte er mit glühenden Wangen auf.
»Das war Madame de Pompadour, die Mätresse des Königs!«, sagte er, Zorn und Abscheu im Gesicht. »Hast du denn nicht gewusst, dass diese Hure die Schwester unseres Herrn ist?«
7
Als Sophie allein in ihrem Zimmer war, fühlte sie sich so aufgewühlt, dass sie unmöglich schlafen konnte. Alles in ihr sehnte sich nach ihrem Geliebten, doch Diderot war nach Fontainebleau gereist, um einen Autor zu treffen, den er für die Enzyklopädie gewinnen wollte.
Sie öffnete das Fenster und schaute hinaus in die Nacht. DerLärm des Tages war verstummt. In der Ferne sah sie das breite, glänzende Band des Flusses, der im Mondlicht zu schlafen schien. Ein sanfter Hauch strich über ihre Wangen, während irgendwo das Rollen einer Kutsche sich in der Lautlosigkeit verlor.
Der Friede der träumenden Stadt beruhigte Sophie, und es war, als weite sich ihr Herz, als sie am offenen Fenster stand und einfach nur da war und atmete. Sie schloss die Augen und sah das Gesicht ihres Geliebten, wie er sie ansah und lächelte, als wolle er sie grüßen und ihr sagen, dass er bei ihr war, immer und ewig, auch wenn noch so viele Meilen sie trennten.
Sophie nickte. Ja, dieses Herz gehörte schon einem Mann … Plötzlich überkam sie ein wahnsinniges Glücksgefühl. Sie spürte seinen Atem, die Wärme seiner Haut, seine Lippen auf ihrem Mund, einen vollen tiefen Kuss, der sich in sie hinabsenkte, in ihre Adern und in ihr Mark, und ein so geheimnisvolles Schaudern ergriff sie, dass ihr Herz zu vergehen schien, überflutet von fiebernder Freude und unendlicher Zärtlichkeit.
Ohne nachzudenken, was sie tat, trat Sophie an ihren Schreibtisch und nahm eine Feder. Sie wollte, sie musste diesen Augenblick festhalten, ihre Gefühle in Worte fassen. Es war die einzige Möglichkeit, ihrem Sehnen Ausdruck zu verleihen und es zugleich zu stillen.
»Die Liebe ist, wo immer sie auftritt, stets die Gebieterin. Sie bildet die Seele, das Herz und den Geist, je nach ihrer Art. Nicht nach dem Herzen und dem Geist, den sie erfüllt, ist sie klein oder groß, sondern nach dem, was sie an sich selbst ist; und es scheint, als sei die Liebe tatsächlich für die Liebenden das, was die Seele für den Körper dessen ist, den sie erfüllt …«
Sophie hatte sich viele Male gefragt, wie wohl ein Text entstand. Was musste in einem Menschen vorgehen, dass sich unter seiner schreibenden Hand die Worte zu einem Sinn zusammenfügten? Es war ihr immer wie ein Wunder erschienen. Doch jetzt merkte sie, es war kein Wunder dabei, in Wirklichkeit war es ganz einfach. Die Worte mussten nur aus dem Herzen kommen.
»Wer fähig ist zu lieben, der ist tugendhaft. Ich wage sogar zu behaupten, dass jeder, der tugendhaft ist, auch fähig ist zur Liebe. So wie es ein Fehler für den Körper ist, wenn er unfähig ist zur Zeugung, so ist es ein solcher für die Seele, die nicht zu lieben vermag …«
Sophie hörte weder die dunkle Glocke, die in der Ferne zur Mitternacht schlug, noch den monotonen Gesang des Nachtwächters, der unter ihrem Fenster mit seiner Laterne vorüberzog. Die Worte und Sätze flossen wie von allein auf das Papier, die tiefe, verborgene Wahrheit ihrer Seele, die sich in diesem Strom der Zeichen unaufhaltsam in die Wirklichkeit ergoss.
Irgendwann setzte sie die Feder ab und las noch einmal, was sie geschrieben hatte. O doch, es war ein Wunder! All ihre Gefühle und Empfindungen, ihr ganzes Sehnen und Drängen, das sie mit solcher Macht zu ihrem Geliebten zog, stand nun da, und jeder Mensch, der eine Seele hatte und später diese Buchstaben und Worte und Sätze las, musste spüren, dass aus diesen Zeichen ihrer Schrift nichts als ihre Liebe sprach. Nur eines fehlte noch. Sie nahm den Gänsekiel und fügte den letzten Gedanken hinzu.
»Ebenso wenig wie das Feuer kann die Liebe ohne fortwährende Bewegung überdauern, und sie erlischt, sobald sie
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