Die Philosophin
Gesicht zwischen seine Hände und schaute sie an.
»Würdest du mit mir kommen, wenn ich dich darum bitte?«
»Das wünschst du dir? Wirklich?«
Das Herz klopfte ihr vor Überraschung und Freude bis zum Hals. Eine Reise mit Diderot! In ein fremdes Land! Die Vorstellung war schöner als jedes Märchen. Doch bevor sie antworten konnte, beschlich sie plötzlich ein merkwürdiges Gefühl. Es war so ähnlich, wie wenn sie einen Artikel, den sie selbst verfasst hatte, mit einem falschen Namen unterschrieb.
»Und dann?«, fragte sie. »Was soll dann werden?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nur, hier kann ich nicht bleiben. Der Prediger von Notre-Dame hat letzten Sonntag auf der Kanzel behauptet, dass es de Prades gar nicht gebe, sondern dass
ich
die verfluchte Dissertation geschrieben hätte. Die Jesuiten versuchen, sich die Enzyklopädie unter den Nagelzu reißen, um sie selber herauszugeben. Das musst du dir vorstellen! D’Alembert denkt schon laut darüber nach, mir die Mitherausgeberschaft zu kündigen. Herrgott, ich hatte so sehr gehofft, dass die Pompadour …«
Er sprach den Satz nicht zu Ende und schaute Sophie an. Alle Hoffnung war aus seinem Gesicht verschwunden. Resigniert schüttelte er den Kopf.
»Wie soll ich im Ausland Autoren finden? Wer wird die Texte drucken? Wie sollen die Bücher zurück nach Frankreich gelangen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Sophie und nahm seine Hand. »Ich weiß nur – du darfst jetzt nicht aufgeben! Mongagul würde das jedenfalls nicht tun, und die Prinzessin Mirzoza würde es nie erlauben.«
»Was soll ich denn machen? Ich habe doch alles versucht.« Wieder schüttelte er den Kopf. »Ich glaube, das ist das Ende.«
»Nein, Denis! Du darfst so nicht reden!«
»Machen wir uns nichts vor, Sophie! Das ist die Wirklichkeit, kein Märchen aus dem Orient. Wenn sogar Voltaire rät, zu fliehen, dann heißt das doch …«
»Hör nicht auf Voltaire! Es geht um
dein
Leben, Denis! Seit ich dich kenne, lebst du für dieses Buch. Du darfst nicht fort! Du musst es zu Ende bringen, und das kannst du nur hier! Du hast es eben selbst gesagt!«
»Aber wenn ich in Paris bleibe, verhaften sie mich. Und ich weiß nicht, ob ich das noch einmal überstehe.« Seine Stimme war nur noch ein leises Flüstern. »Letzte Nacht konnte ich nicht schlafen, und da kamen sie wieder, aus allen Löchern krochen sie herbei, Kakerlaken, riesengroß und schwarz …« Sophie sah in seine Augen – diese wunderbaren, unglaublichblauen Augen, die sonst so hell leuchteten wie der Himmel an einem Frühlingstag. Jetzt schienen sie so dunkel wie eine Nacht voller Angst.
Auf einmal hatte Sophie eine Idee.
»Versprich mir, noch etwas zu warten«, sagte sie. »Nur ein paar Tage.«
»Warten? Wozu?«
»Frag jetzt nicht, mein Liebster, hab einfach Vertrauen!«
14
Ein Aufschrei ging durch Europa, über alle Grenzen hinweg. Die Enzyklopädie war verboten worden! In Holland, in Genf, in England – in allen Ländern, wo die Freiheit regierte, wurden Proteste laut. Und in Russland und Preußen, wo es keinerlei Freiheit gab, protestierten sogar die Herrscher gegen das Verdikt aus Paris.
Während der Kontinent sich empörte, stand Sophie unschlüssig im Haus ihres Herrn vor der Tür zum Salon, den Finger zum Anklopfen bereit. Doch je länger sie zögerte, desto mehr sank ihr Mut. Auf der anderen Seite der Tür hörte sie die Stimme ihres Herrn – und die Stimme seiner Schwester, der Marquise de Pompadour.
»Wenn Sie nur einen Funken Ehrgeiz hätten, Monsieur! Sie könnten Staatsrat werden, vielleicht sogar Minister.«
»Ich fühle mich aber wohl, wie ich jetzt lebe, liebe Schwester, sehr wohl sogar.«
»Ihre Bescheidenheit ist empörend! Als wären Essen undTrinken ein Beruf! Es geht nicht um Ihr Wohlergehen, sondern um die Zukunft Ihrer Nichte!«
Sophie war so aufgeregt, dass ihr übel war. Sie hatte Diderot gesagt, er solle ihr vertrauen. Und jetzt, da die Gelegenheit da war, auf die sie seit Tagen gehofft hatte, bekam sie weiche Knie und ihr Magen krampfte sich zusammen. Was war nur in sie gefahren, ihrem Geliebten ein solches Versprechen zu geben? Die Halle erschien ihr plötzlich größer als die Kathedrale von Notre-Dame, und sie selber fühlte sich darin so klein und verloren wie ein Insekt.
Wieder wurden im Salon die Stimmen laut.
»Sie müssen sich standesgemäß etablieren. Wenn Sie schon nicht arbeiten wollen, dann sollten Sie wenigstens heiraten!«
»Eine Ehe ist eine entsetzlich mühsame Sache. Erst
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