Die Pilgerin
zwischen Habsburgund Wittelsbach herausgehalten und gleichen Abstand zu beiden gewahrt. Doch wie durch Hexerei fand er sich nun mit beiden zerstritten. Ich hätte auf Sebastian hören sollen, dachte Laux reuevoll. Sein Sohn hatte geahnt, dass es eine Verschwörung gab, und ihr nachgespürt. Er selbst aber hatte nicht sehen wollen, welche Gefahr sich über ihm und über Tremmlingen zusammenbraute. Wäre er nicht so verbohrt – oder so gutgläubig – gewesen, hätte er noch die Macht gehabt, die für die Stadt schädlichen Umtriebe im Keim zu ersticken. Stattdessen war er auf Gürtlers ehemalige Verbündete zugegangen, hatte ihnen die Hand zur Versöhnung gereicht und ihnen sogar weitere Macht zugestanden, um sie gänzlich auf seine Seite zu ziehen. Seine Gutmütigkeit hatten sie ihm jedoch mit Hinterlist und Verrat gedankt.
Sein Blick suchte Schrimpp, der nun weitere Klagen gegen ihn erhob. Ihm hatte er am meisten vertraut, und jetzt stand auch dieser Mann gegen ihn auf. Er konnte nur vermuten, dass Schrimpp selbst Bürgermeister werden wollte, sogar auf Kosten der Freiheit von Tremmlingen, und er bedauerte, dass sein Sohn Damian so wenig Interesse für Politik zeigte. Sein Ältester ging ganz in Handel und Geschäften auf und es war ihm sogar gelungen, einige handfeste Söldner als Schutztruppe anzuwerben, um die eigenen Verluste gering zu halten. Die anderen Ratsherren hatten jedoch stark bluten müssen, und das machte man ihm nun zum Vorwurf.
Schrimpp schnaufte wie ein zorniger Bulle und wies mit dem Finger auf Laux. »Ich kann euch sagen, was er vorhat. Er will nicht nur noch reicher werden, als er bereits ist, sondern uns andere alle klein machen und in den Ruin treiben, um die alleinige Macht in der Stadt ergreifen zu können. Oder habt ihr vergessen, was man sich über die Städte in Italien erzählt? Auchdort streben die mächtigsten Familien nach absoluter Macht, und wenn sie diese erreicht haben, erkaufen sie sich vom Kaiser Rang und Titel. Wollt ihr, dass Laux seinem Sohn Damian einmal unsere Stadt als Besitz und den Titel eines Grafen oder Markgrafen hinterlassen kann? Ich sage Nein!«
Laux ignorierte den Schmerz in seiner Brust, der ihm fast den Atem raubte, und drohte Schrimpp mit der Faust. »Narretei! Ich hatte stets nur den Wohlstand und die Freiheit unserer Stadt im Sinn, und habe es immer noch. Ihr seid es, die Tremmlingen verratet, weil ihr euch dem Bayernherzog beugen wollt.« Zornige Zwischenrufe klangen auf, und während Schrimpp in ein höhnisches Gelächter ausbrach, versuchten ein paar seiner Freunde zu dem Stuhl zu gelangen, auf dem der Bürgermeister saß, doch einige besonnene Ratsmitglieder hielten die aufgebrachten Männer zurück. Für Laux war die Haltung der Leute ein Schock. Viele von ihnen hatte er jahrelang Freunde genannt und mit ihnen Geschäfte abgeschlossen, gefeiert und getrunken. Mit einem Mal aber behandelten sie ihn wie einen Feind, den es zu vernichten galt. Sein Blick suchte Otfried Willinger, der als jüngstes Mitglied des Hohen Rates auf einem der hintersten Plätze saß. Schon ein paarmal hatte er mit ihm gesprochen und gehofft, ihn auf seine Seite ziehen zu können, denn trotz seiner Jugend besaß Otfried als Regierer zweier Handelshäuser Einfluss auf die übrigen Räte und hätte ihm helfen können, den Frieden in der Stadt zu bewahren. Im Gespräch unter vier Augen hatte Otfried sich auch bereit erklärt, alles für ihn zu tun, was in seiner Macht stand.
Als Laux nun den höhnischen Ausdruck auf Willingers Gesicht bemerkte, begriff er, dass dieser ihn nach Strich und Faden belogen hatte. Dabei hatte er dem jungen Mann letztens noch angeboten, seine Schwester, wenn sie denn zurückkehren sollte,ohne Zögern als Schwiegertochter zu akzeptieren. Doch wahrscheinlich stimmte das, was die Leute in der Stadt sich hinter vorgehaltener Hand erzählten: Tilla war längst in der Donau ertrunken und ihr Leib wurde von den Fluten des Stromes weit nach Osten in jene fernen Länder getragen, die auch Laux nur vom Hörensagen kannte.
»Sebastian, warum hilfst du mir nicht?«, stöhnte Laux. Der Schmerz in seiner Brust hatte ihn für einen Augenblick vergessen lassen, dass er seinen jüngeren Sohn ausgeschickt hatte, Tilla zu finden und zu beschützen.
»Ich bin dafür, dass wir die heutige Ratssitzung beenden und uns auf morgen vertagen«, rief Schrimpp.
Eigentlich war es das Recht des Bürgermeisters, dies vorzuschlagen. Doch der Kaufherr sah sich bereits im Besitz der
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