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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Amtskette, denn sein Verbündeter Otfried war noch zu jung, um von den anderen Ratsmitgliedern als Laux’ Nachfolger akzeptiert zu werden.
    Schrimpps Blick ruhte mitleidlos auf seinem früheren Freund. Lange würde Laux den Kampf um die Macht nicht mehr durchstehen können, denn er zeigte bereits Verfallserscheinungen, und von einer Magd, die Schrimpp bestochen hatte, wusste er, dass der Bürgermeister immer wieder den Arzt rufen ließ. In Schrimpps Augen glich Koloman Laux einem morschen Baum, der beim nächsten harten Stoß stürzen würde. Anders sah es jedoch mit dessen ältestem Sohn aus. Interessierte Damian sich wirklich so wenig für die Geschehnisse in der Stadt, wie er vorgab? Das konnte Schrimpp sich nicht vorstellen, denn der junge Laux war ein gerissener Handelsmann, der selbst in einer Zeit noch Gewinn machte, in der andere langsam, aber sicher den Hund am Grund ihrer Geldtruhen sehen konnten.
    Da niemand auf seinen Vorschlag reagierte, schaute Schrimppzu Otfried hinüber und sah diesen zustimmend nicken. Das schien auch für die anderen Ratsmitglieder eine Aufforderung zu sein, denn sie erklärten, dass sie sich am nächsten Tag wieder versammeln wollten.
    Otfried Willinger erhob sich als einer der Ersten und gab Schrimpp einen Wink. »Wir sollten heute noch mit unseren Freunden beraten, was zu tun ist, und morgen eine Entscheidung herbeiführen.«
    Er fühlte sich bereits als Herr der Stadt, auch wenn er Schrimpp den Stuhl des Bürgermeisters würde überlassen müssen. Aber das störte ihn nicht, denn auf ihn wartete ein weitaus höherer Posten. Georg von Kadelburg hatte ihm bei ihrem letzten Zusammentreffen versprochen, dass Herzog Stephan ihm die Vogtei der Stadt übertragen würde, und als verlängerter Arm des Bayern würde er der mit Abstand mächtigste Mann in Tremmlingen sein.
    Zufrieden mit dem bisher Erreichten verließ Otfried den dunkel getäfelten Ratssaal und trat durch das reich mit Bildwerken versehene Portal ins Freie. Ein Künstler hatte auf dem Tor des Rathauses die Stadtfreiheit allegorisch als junge Frau verewigt, die sich gegen eine Schar gewappneter Ritter behauptete. Otfried streifte das Relief mit einem verächtlichen Blick und zuckte mit den Schultern. Die Macht gehörte immer dem Stärkeren und das war nun einmal der Herzog von Bayern. In dessen Diensten würde er den Ritterschlag erhalten samt einem stolzen Titel, der es wert war, einmal an einen Sohn vererbt zu werden. In dem Moment bedauerte er es, so unbedacht die Ehe mit Radegund Böhdinger eingegangen zu sein, denn in ein paar Jahren hätte er sich sein Weib unter den edelsten Geschlechtern Bayerns aussuchen können.
    Mit einem ärgerlichen Schnauben wandte er der Rathaustürden Rücken zu. Ohne sich umzusehen wusste er, dass ihm der größte Teil der Ratsmitglieder folgte. Einige enge Freunde von Laux blieben zunächst noch im Saal und blickten ihren bisherigen Anführer an. Dieser achtete jedoch nicht auf sie, sondern starrte durch das bleiverglaste Fenster nach draußen, ohne wirklich etwas zu sehen.
    »Vielleicht sollten wir doch mit Schrimpp sprechen«, schlug einer der Männer vor.
    »Das ja, mehr noch aber mit Willinger. Er ist der reichste und mächtigste Kaufherr in der Stadt und soll, wie es heißt, gute Verbindungen ins Bayernland pflegen. Er wird uns sagen können, wie wir diesem Elend entrinnen können. Ich habe erst in der letzten Woche drei Wagen mit Waren aus Italien verloren. Ein Knecht ist mir erschlagen und vier weitere sind verletzt worden. Und mein ältester Sohn, der den Zug angeführt hat, liegt immer noch siech danieder und der Arzt zweifelt an seinem Aufkommen.« Der Sprecher wagte es nicht, Laux anzublicken, sondern eilte so rasch aus dem Saal, als fürchte er, der Bürgermeister könnte ihn zurückhalten. Zwei, drei andere zögerten ein wenig, dann folgten sie ihm so hastig, als sähen sie sich von Laux in einen Abgrund gezogen.
    Die Stille, die sich über den Ratssaal gesenkt hatte, brachte den Bürgermeister wieder in die Gegenwart zurück, und er sah sich hilflos um. Es war ein unglaublicher Verstoß gegen die Sitte und ein Affront gegen ihn, dass die Ratsmitglieder gegangen waren, ohne zu warten, bis er die Sitzung ordnungsgemäß beendet hatte. Schwerfällig stand er auf und öffnete die Schnur, mit der er seinen Rock am Kragen geschlossen hatte. Ihm war heiß und seine Lungen schrien nach Luft.
    Nach einigen tiefen Atemzügen fühlte er sich wieder etwas besser und verzog das Gesicht

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