Die Pilgerin
mich geschehen gewesen. So aber hat er die Schurken von mir abgelenkt und …«
Sebastian brach ab und wies den Hang hinab an eine Stelle, an der der Karmelitermönch in einer großen, roten Lache lag. Tränen schossen ihm in die Augen und für Augenblicke sah er so verzweifelt aus, dass Tilla ihn am liebsten an sich gezogen und getröstet hätte.
»Er hat sein Leben für mich geopfert, verstehst du? Dabei habeich ihn schlecht behandelt und von mir gestoßen.« Es lag eine Selbstverachtung in seiner Stimme, die Tilla erschreckte.
»Er hat dich geliebt und ist für dich gestorben. Das allein sollte für dich zählen. Behalte das im Gedächtnis und lasse an seinem Todestag Messen für ihn lesen.« Tilla bat den Mönch in Gedanken ebenfalls, ihr zu verzeihen, denn auch sie hatte seinen Charakter falsch eingeschätzt. Dann aber wandte sie ihre Aufmerksamkeit einer anderen Person zu. »Was ist mit Renata?«
»Sie liegt dort unten und rührt sich nicht. Aber ich habe nicht gewagt, sie anzusehen.« Auf Sebastians Gesicht breitete sich Scham aus, weil es ihm nicht gelungen war, die Frau zu beschützen.
Tilla ließ ihn stehen und rannte zu Renata hinunter. Im ersten Augenblick sah es so aus, als wäre diese zu Tode geschunden worden. Sie lag mit verzerrtem Gesicht und verkrampften Gliedmaßen wie im Todeskampf erstarrt auf dem Rücken, und ihre Schenkel glänzten vor Blut. Als Tilla sich über sie beugte, öffnete sie jedoch die Augen und stöhnte.
»Ist Anna den Schuften entkommen?« Selbst in dieser Stunde dachte Renata mehr an ihre Schwester als an sich selbst.
Tilla nickte unter Tränen. »Ja! Wir alle sind ihnen entkommen.« »Dann ist es gut.« Renatas Gesicht entspannte sich etwas und der Anflug eines Lächelns erschien auf ihren Lippen. »Als ich merkte, dass ich euch nicht mehr würde folgen können, bin ich in eine andere Richtung gelaufen. Es war also nicht vergebens.«
»Das war es nicht!« Tilla fasste ihre Hand und führte sie an die Lippen. »Ich weiß nicht, wie ich dir danken kann.«
»Bring mich zum Wasser, damit ich den Schmutz dieser Kerle von mir abwaschen kann.« Renata versuchte aufzustehen, schaffte es aber nicht allein. Tilla hob sie hoch und fasste sie unter.
Inzwischen hatten die anderen ebenfalls ihre Zuflucht verlassen und Anna wollte zu ihrer Schwester eilen. Hedwig aber hielt sie fest. »Um Renata kümmert sich Tilla. Lass uns lieber sehen, ob noch einer unserer Freunde überlebt hat.«
»Rudolf von Starrheim liegt dort hinten, ebenso der fremde Ritter«, erklärte Sebastian und zeigte in die entsprechende Richtung. Obwohl er dringend hätte verbunden werden müssen, schloss er sich den Frauen an, zu denen sich nun auch das gerettete Mädchen gesellte. Das Edelfräulein hatte seinen Schleier verloren, und so konnten alle sehen, wie kindlich sie noch wirkte, und als sie sich ihrem Onkel näherte, erstarrte ihr Gesicht zu einer Maske schieren Entsetzens.
Der kunstvoll bestickte Waffenrock des Mannes klebte vor Blut, und man konnte sehen, dass ein Hieb mit einer Kriegskeule seine linke Schulter zerschmettert hatte. Doch es steckte noch Leben in ihm, denn er atmete sichtlich auf, als er seine Nichte erkannte. »Gott im Himmel sei gepriesen, Blanche! Du bist unversehrt!«
»Dank dieser Menschen hier, Oheim!« Das Mädchen zeigte scheu auf Hedwig und die anderen, denn es hatte die Leute wiedererkannt, mit denen es an der Rhône in Streit geraten war. Nun bekam Blanche es mit der Angst zu tun. Auf den Schutz ihres Onkels konnte sie nicht mehr vertrauen, denn der Mann war so schwer verletzt, dass er wohl bald in die Ewigkeit eingehen würde.
»Starrheim ist noch am Leben!« Sebastian blickte auf den jungen Grafen nieder, der eben mit einem lauten Stöhnen aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte, und wusste nicht recht, ob er sich freuen oder ärgern sollte. In seinen Augen machte Tilla zu viel Aufhebens um den Adeligen und ebenso um Ambros. Letzterer war ein noch härterer Rivale, denn im Gegensatz zu dem Goldschmiedwürde der Graf Tilla gewiss nicht heiraten wollen. Und doch hoffte Sebastian, dass auch Ambros überlebt hatte.
Während er den lang gestreckten Schauplatz der Kämpfe entlangschritt und dabei die beiden Trabanten, die Blanche und ihren Oheim begleitet hatten, ebenso erschlagen fand wie ihren gutmütigen, stets hilfsbereiten Gefährten Manfred, machte Hedwig sich daran, Starrheims Wunden zu verbinden. Sie war darin jedoch so ungeübt, dass Tilla, die Renata versorgt hatte,
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