Die Quelle
Umgebung. Leathan hatte das Gefühl in die Wiege
des Lebens getreten zu sein… Es war, als ob hier alles angefangen hatte. Er war
an das Herz, an die Seele, an den Ursprung allen Lebens gelangt.
Er ließ es zu, mit dieser perfekten Harmonie
vollständig zu verschmelzen und erst jetzt fiel ihm auf, dass er damit
nicht alleine war.
Ein anderer menschlicher Gedanke hatte sich zu ihm
gesellt und nährte, genau wie er es tat, seine Seele mit dem Leben des
Waldes. Sie erlebten gemeinsam die pulsierende Kraft, die sie umgab.
Leathan hätte nicht sagen können, wie lange
dieser Zustand angedauert hatte, doch irgendwann, Stunden oder Minuten
später, spürte er, wie er gerufen wurde. Nur widerwillig öffnete
er die Augen und begab sich wieder auf den Weg.
Er wusste nun genau, wohin er gehen musste. Ein kleiner
Pfad, kaum zu erkennen, wenn man ihn noch nie beschritten hatte, führte
durch das Dickicht direkt bis zur Quelle. Leathan fühlte sich, als
wäre er hier zu Hause. Er kannte jetzt jedes Detail, jede Windung des
Weges. Er war mit diesem Wald eins gewesen, er war nun noch immer ein Teil des
Ganzen.
Die ruhige Anwesenheit des anderen Menschen begleitete
gedanklich seinen Weg, wie ein Schatten, der über ihn zu wachen schien.
Leathan hatte das Zeitgefühl verloren, doch das Zwielicht in dem tiefen
Wald wich langsam der Mittagssonne. Ein blasses blaues Licht schien seinen Weg
zu erhellen, oder war es nur eine optische Täuschung? Er konnte nichts
hören, das ihn auf Magie hingewiesen hätte, doch war hier nicht alles
anders? Hier, nahe der Quelle, war Magie vielleicht allgegenwärtig, wie
die Luft zum Atmen.
Als Leathan plötzlich auf eine Lichtung zuging,
verschlug es ihm die Sprache.
Obwohl ein leichter Wind durch die Lichtung wehte, war
die Wasseroberfläche glatt. Nicht das leiseste Kräuseln, nicht die
friedlichste Welle konnte die Ruhe des Sees der Quelle trüben. Das Wasser,
falls es überhaupt Wasser war, wirkte wie von innen beleuchtet und tauchte
die umgebende Natur in ein intensives, leuchtendes Blau ein. Nebelschwaden
streiften die Oberfläche des Sees und ließen sich kunstvoll vom Wind
modellieren. Der Wasserfall, der in der Luft über den See zu schweben
schien, gab keinen Laut von sich, denn aus ihm floss kein Wasser heraus,
sondern pure Lebensenergie, die den See nährte.
Leathan war bei diesem Anblick erstarrt. Er hatte sogar
vergessen zu blinzeln…
Er war Leathan, er war Lisa, er war Elena, doch nun
wusste er, er war viel mehr als das… Er war hier zu Hause gewesen, lang bevor
er Elena geworden war. Er gehörte genau hier her, in dem See, von dem er
so oft geträumt hatte…
Er ging weiter nach vorn, er wollte eintauchen… in der
glatten Oberfläche seinen Körper mit der Ursprungsenergie
verschmelzen lassen.
Doch etwas hielt ihn zurück… Etwas, was ihm erst nur
unterbewusst wieder in Erinnerung kam… Ja, genau.. Jemand wollte die Quelle
zerstören…
Er betrachtete den See, ruhig, mächtig. Wie
hätte irgendjemand den Ursprung des Lebens zerstören können? Die
Prophezeiung der Wächter musste falsch sein…
Doch Leathan wusste: sie war es nicht.
Erst jetzt bemerkte er die Gestalt, die am Rande des Sees
saß. Die Silhouette war die eines groß gewachsenen Mannes, er
strahlte trotz seiner schlanken Erscheinung eine unglaubliche Macht aus.
Er hatte ihn die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen,
ihn jedoch nicht angesprochen. Es konnte sich dabei nur um den König
handeln und Leathan näherte sich ihm, während der Unsterbliche, der
zur Legende geworden war, langsam aufstand.
Erst jetzt wurde Leathan bewusst, dass er durch die
Silhouette des Königs hindurchblicken konnte. Es war, als würde sich
der Körper, den der König nach Jahrhunderten noch immer bewohnte, zum
Teil in Luft auflösen. Er bestand fast nur noch aus Energie, eine
halbdurchsichtige Erscheinung, deren Konturen unscharf waren und von blauem
Licht umrandet, als würde nur noch Magie, ihn vor dem endgültigen
Verschwinden abhalten können.
Der König bewegte sich langsam auf ihn zu. Seine
Schritte waren leise und hinterließen keine Spuren auf dem sandigen
Boden. Durch seinen Körper hindurch konnte man den See in seiner Pracht
erkennen. Hätte Lisa nicht bereits Geister gesehen, hätte Leathan nun
gedacht, dass der König nur noch ein Geist war.
Als beide Männer sich gegenüber standen,
lächelte der König und sein Körper gewann wieder an Konturen und
an Festigkeit. Leathan zögerte, ihn anzusprechen, seine
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