Die Quelle
Tag seit Jahren getan
hatte, am Ufer des Sees der Quelle. Er wartete darauf, dass eines der Kinder
ihm erscheinen würde, um ihm das Universum zu erklären. Es schien so,
als würde es täglich dasselbe Wesen sein, das sich Zeit für ihn nahm,
doch sicher konnte er sich nicht sein, denn wie hätte er diese
geisterhaften Erscheinungen voneinander unterscheiden können?
Allmählich hatte er viele der Lehren verstanden und
über dieses Verständnis bereits die Fähigkeit entwickelt, sich
der Energie der Quelle zu bedienen. Obwohl das Kind ihm klar verständlich
gemacht hatte, dass sie keine Götter waren, amüsierte es Leathan, so
zu tun, als würde er es noch immer als göttlich betrachten. Er wusste
zwar bereits, welche Gefahr diese Lüge in sich barg, doch er ahnte, dass,
sobald er den Anschein erwecken würde, es verstanden zu haben, das Kind
sein Interesse an ihm verlieren und seine Lektionen beenden würde. So
kniete er respektvoll nieder, als die blaue geisterhafte Silhouette auf ihn
zukam.
Er musste seinen Respekt nicht unbedingt spielen. Laut
seinem frisch erlernten Verständnis für das Universum waren die
Kinder der Quelle weitaus mächtiger und älter als die Götter,
nur interessierten sie sich für das Treiben der Sterblichen für
gewöhnlich nicht.
Als das Kind vor ihm schwebte, in Nebel und Energie
gehüllt, erhob sich Leathan wieder. Das Kind wirbelte in einem Kreis um
Leathan, der keine Zeit hatte, sich darüber zu wundern, denn nur
Bruchteile von Sekunden später tauchte das Wesen in seinen Körper
ein. Leathan spürte die Wärme der fremden Seele, er hörte das
melodische Lachen und sein Herz lachte mit.
Das Kind jedoch nahm zum ersten Mal seinen
Ansprechpartner wirklich wahr. Es entdeckte den Geist des Menschen, es
entdeckte die sterbliche Denkweise, sah, wie Leathan die ganze Zeit mit ihm
gespielt hatte und war fasziniert. Es forschte noch weiter nach, plötzlich
von Wissensdurst erfasst und studierte Leathans Leben, Leathans Geist, Leathans
Gefühlswelt… Seine übliche Sorglosigkeit ließ zu, dass das Kind
seiner Neugierde nachgab und vollends mit Leathan verschmolz.
Leathan bekam unermessliches Wissen geschenkt,
während das Kind Leathans Gefühlswelt in sich aufsog und erschrak.
Als es aus Leathans Körper heraus schoss, war es erschüttert und es
verschwand in der Tiefe des Sees, um im Schoß des Universums nach Trost
zu suchen.
Leathan verharrte tagelang an den Ufern des Sees und
wartete. Er sehnte sich danach, dem Kind noch einmal zu begegnen und seine
Wärme zu spüren. Es schmerzte ihn, dass es nicht kam und er
wünschte sich, es trösten zu können, denn er hatte gespürt,
wie Schmerz das Kind erfüllt hatte, als es aus ihm geflohen war. Wie er
nun dachte zu verstehen, waren diese Wesen für wirre menschliche
Gefühle nicht geschaffen und Leathans Gefühlswelt hatte das Kind
überrumpelt.
Es dauerte Wochen, bis das Kind der Quelle wieder
erschien. Es wunderte sich, dass Leathan noch immer da war, denn lernen musste
er nichts mehr. Doch als es sich ihm vorsichtig näherte, konnte es
spüren, wie auch Leathan von seinen Gefühlen beherrscht wurde.
Langsam kreiste das unsterbliche Wesen wieder um Leathan und als es abermals
mit seiner Seele verschmolz, waren beide für einige Augenblicke
glücklich und die vollständigsten Wesen des Universums.
Sie wurden zur perfekten Harmonie zwischen Sterblichem
und Unsterblichem, sie vereinten die Ewigkeit mit dem Augenblick und warfen
Brücken zwischen die Existenzebenen.
*
Sie trafen sich über Jahre, während das Leben
und die Ewigkeit drohten, sie zu trennen. Leathan wurde König und lehrte
sein Volk, sich der Macht der Quelle zu bedienen, während er selbst nach
Wegen der Unsterblichkeit suchte, um seinem Volk weiter dienen zu können,
doch insgeheim auch, um sich nicht von seiner Liebe trennen zu müssen.
Stella, so hatte er das geisterhafte Wesen genannt, da dessen Energie leuchtete
wie die der Sterne.
Stella erkannte zu spät die Gefahr, trotz ihrer
Kräfte und ihrer Fähigkeit Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart als
Einheit zu betrachten. Wie bei allen Kindern der Quelle üblich, hatte sie
keinen Wert darauf gelegt, sich um die Angelegenheiten der Sterblichen und der
Götter zu sorgen. Sie meinte, ihre Pflicht erfüllt zu haben, als sie
Leathan klar gemacht hatte, dass die Kinder der Quelle keine Götter waren.
Mehr hatten die Götter nie gewünscht und sie hatte sich nicht die
Mühe gemacht, mehr Verständnis für die
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