Die Quelle
endlich gehen zu
dürfen, doch gleichzeitig verwirrt von seiner Begegnung mit dem Herrscher
Anthalias, trat er den Abstieg über die Wendeltreppe an. So viele Fragen
gingen durch seine Gedanken, so viele Worte waren gesagt worden, die er erst
jetzt versuchen konnte einzuschätzen... Ahnte Anthalion, dass er selbst
das Kind der Quelle war, oder hatte er nur auf seine Vergangenheit in einer
anderen Welt angespielt? Mit so vielen verschiedenen Persönlichkeiten in
einem Wesen zu sprechen war anstrengend und äußerst gefährlich.
Hatte er zuviel verraten? Er wünschte plötzlich, er hätte ein
weiteres Treffen vermeiden können…
Als er auf dem Absatz der Treppe angekommen war,
änderte er wiederum seine Meinung. Die starke Persönlichkeit des
Herrschers hatte seine Neugierde entfacht und er konnte ein erneutes Treffen
kaum erwarten. War die Schizophrenie Anthalions womöglich ansteckend?
Histalien wartete auf dem Treppenabsatz auf Leathan und lächelte
verständnisvoll, als er seinen Gesichtsausdruck sah.
„Die wenigen, die die Ehre hatten, länger an der
Seite Anthalions sein zu dürfen, hatten alle diesen Gesichtsausdruck.“,
amüsierte sich Histalien über ihn. Selten war Leathan so erleichtert
gewesen, einen normalen Menschen zu sehen.
Histalien begleitete Leathan zu ihren Pferden, die in der
Anlage des Innenhofes auf sie warteten. Nun da die anderen Nomaden nicht
anwesend waren, wirkte er ein wenig gelassener, als den anderen Tagen, da Leathan
ihm begegnet war. Es schien eine gute Gelegenheit zu sein, die Frage, die
Anthalion nicht hatte beantworten wollen, erneut zu stellen.
„Diese Seeungeheuer, kommen sie jeden Abend?“
Histalien stutzte, sah ihn stirnrunzelnd an, doch
zumindest verweigerte er ihm die Antwort nicht. „Eigentlich weiß das jedes
Kind! Du bist wohl nie von deinen Bergen heruntergekommen, wie? Die Ungeheuer
kommen heraus, sobald sie spüren, dass jemand sich dem Wasser nähert.
Einige von ihnen können sogar einige Meter an Land kriechen. Kein Tier und
kein Mensch überlebt eine solche Begegnung. Die Opfer verschwinden mit
Haut, Knochen und sogar mit ihren Waffen in den Mäulern der Ungeheuer. Sie
lassen keine Reste übrig. Einzig und allein in Anthalia schafft man es,
die Ungeheuer auszutricksen, um Fische zu fangen. Die Fischer gehen ins Wasser
und warten darauf, dass die Ungeheuer ihre Anwesenheit spüren. Das dauert
nie lang. Die Wellenbrecher bieten ihnen genug Schutz, um nicht von den
Ungeheuern gefressen zu werden. Die Fischschwärme werden von dem
Erscheinen der Ungeheuer in die Netze getrieben und die Stadt erhält
Nahrung.“
Sie passierten die schmale Zugbrücke, die über
den Graben führte und stiegen erst dann auf ihre Pferde, um zurück zu
den Quartieren von Kegalsiks Tempel zu reiten. Den Palast zu verlassen,
erlaubte es Leathan endlich wieder frei zu atmen, als sei ein immenses Gewicht
von ihm genommen worden. Erst jetzt trat Erleichterung ein: Sein treffen mit Anthalion
hatte er hinter sich gebracht, nun konnte er die Ruhe eines nächtlichen
Rittes durch den Park genießen. Sein Pferd trabte entlang des breiten
Weges, an der Arena vorbei... Leathan lächelte, plötzlich völlig
gelöst von jeder Anspannung. Ihm wurde jetzt erst bewusst, was gerade
geschehen war: Er hatte seine erste Konfrontation mit Anthalion überlebt!
*
Anthalion stand noch immer auf dem Turm. Leathan war
längst gegangen, doch seine Worte und vor allem seine Aura wirkten noch
immer in ihm nach.
Der Bote von Ker-Deijas hatte ihn angelogen.
Anthalion wusste es, so wie er sich der Wahrheit fast
sicher war. Leathan war ihm zu nahe gekommen, um seine wahre Natur vor ihm
verbergen zu können. Ein Kind der Quelle konnte nicht in der materiellen
Ebene in Menschengestalt erscheinen, genau so wenig wie ein Gott es konnte. Es
sei denn, sie fanden einen Weg, um in einen Körper geboren zu werden, so
wie er es einst selbst getan hatte. Doch wenn Leathan ein Kind der Quelle war,
was hatte er jetzt vor? Warum war er hier? Und vor allem, würde seine
Natur etwas ändern, musste er nun sein Vorhaben anpassen?
Eines war ihm sicherlich gelungen, um das zu wissen
brauchte er keine Gedanken zu lesen, das hatte man in den Augen Leathans sehen
können.
Das Kind war neugierig geworden.
Nun, vielleicht würde das als Einstieg reichen, um
sein Vertrauen zu gewinnen und ihn dazu zu bringen, einen neuen, gemeinsamen
Plan zu akzeptieren… Was wusste man schon über die Gedankenwege der
Kinder?
Er dachte über die
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