Die Rache Der Wanderhure
voll am Himmel stand. »Natürlich weiß ich es. Aber mir bleibt nichts anderes übrig. Die Frist, die Sigismund mir gesetzt hat, ist fast abgelaufen. Wenn ich meinen Mann nicht finde, lande ich in der Gosse oder im Kerker. Ohne Vater und Mutter aber endet meine Tochter in den Kohleminen des Ruhrtals oder in den Frauenhäusern des Morgenlands.«
»Und wie willst du die Feinde deines Mannes anlocken?«
Marie sah den Gaukler mit blitzenden Augen an. »Ich will ein Lied singen, das den Mordgesellen in den Ohren klingen soll! Mach bitte weiter! Wir haben nicht mehr viel Zeit.«
Während Nepomuk Marie die Haare färbte und anschließend einige Sachen heraussuchte, die sie für ihren Auftritt benötigte, dachte er bei sich, dass sich jeder Mann glücklich schätzen konnte, eine Frau wie sie als Gefährtin zu bekommen. Doch solange sie an ihrem Michel festhielt, mochte er nun tot oder lebendig sein, hatte kein anderer eine Chance bei ihr, und ganz gewiss kein Zwerg wie er.
Unterdessen wartete Ruppertus vor dem Zelt des Feldherrn auf die Nachricht, dass Michel von Hohensteins Witwe gefunden worden sei. Während er selbst trotz der Gefühle, die ihn durchtobten, starr wie ein Felsblock wirkte, wurden die Männer um ihn herum immer nervöser. Keiner wusste, was der Inquisitor wirklich bezweckte, doch dem Aufwand nach, den der schwarze Mönch betrieb, mussten Hochverrat, Ketzerei und noch viel Schlimmeres im Spiel sein.
Hettenheim hatte sich zu Ruppertus gesellt und trank durstig den Wein, den ein Diener des Herzogs von Sachsen ihm anbot. Zwischen zwei Schlucken erstattete er Rapport. »Unsere Leute haben den größten Teil des Lagers zum zweiten Mal durchkämmt. Sie durchwühlen Waffentruhen, stochern in jeder Wassertonne und schauen unter jede Decke, die in einem Zelt liegt. Wenn die Frau noch hier ist, treiben sie sie wie ein Stück Wild vor sich her. Es bleiben nicht mehr viele Stellen, an denen sie sich …«
»Still«, unterbrach Ruppertus ihn und lauschte einer Frau, die eben zum Klang einer Laute ein Lied sang. Dabei durchlief es ihn gleichzeitig heiß und kalt, denn diese Stimme hätte er unter Tausenden wiedererkannt.
Auch Hettenheim achtete jetzt auf den Gesang und klopfte zunächst im Takt mit dem Fuß auf den Boden.
»Für Euch, mein König, ist dieses Lied,
und für euch Krieger in Reih und Glied.
Die Moritat von Schwert und Spaten,
von Rittern, Bauern, Feldsoldaten!«
Ruppertus stand auf und schlug mit bebenden Fingern die Zeltplane zurück, um nach der Sängerin zu schauen. Ein ganzes Stück von ihm entfernt saß eine schwarzhaarige Frau mit weißgeschminktem Gesicht und einem bunten Rock auf einem Wasserfass. Um sie herum hatten sich etliche Dutzend Soldaten geschart, die begeistert ihr Lied verfolgten. Die Frau ließ den Blick über die Zuschauer schweifen, als suche sie etwas. Dabei klang ihre Stimme immer eindringlicher und hallte zuletzt durch das ganze Lager.
»Ja, Majestät, es ist recht bitter,
verweichlicht sind sie, Eure Ritter.
Drum, Sigismund, bleibt gut beraten,
vertraut auf Eure Fußsoldaten!«
Während Hettenheim angewidert das Gesicht verzog, lauschte Ruppertus vergnügt der Ballade, in der die hohen Herrschaften nicht gerade gut wegkamen, und bewunderte gleichzeitig den Mut der Frau, die nicht in eine Ecke gedrängt darauf wartete, entdeckt zu werden, sondern ihrerseits mit ihren Verfolgern zu spielen begann. Er war sich sicher, dass sie Hettenheim, Loosen, Haidhausen und die anderen Männer in seiner Begleitung auf diese Weise hätte überlisten können – und wohl auch jeden Inquisitor aus Rom außer ihm selbst.
Sie ist noch stärker geworden, dachte er verzückt.
Wie er war sie eine Auserwählte des Herrn, denn sie hatte gleich ihm dem Tod getrotzt, den sie durch Hunolds Rutenhiebe und er durch den Scheiterhaufen hatte erleiden sollen. Sie allein war es wert, ihm die Kinder zu schenken, die einmal zu Höhen aufsteigen sollten, die für alle anderen unerreichbar waren. Welche Stärke sie an ihren Nachwuchs weitergeben konnte, hatte er bereits an ihrer Tochter Trudi gesehen. Bei dem Gedanken, wie mutig ihm das Kind entgegengetreten war, leuchtete sein Auge voller Vorfreude auf. Dabei war der Vater nicht er selbst, sondern jener Tölpel Michel Adler gewesen. Auch dieser Wirtsschwengel hatte von Maries Kraft profitiert und war bis zum Gefolgsmann des Königs und zum Hauptmann im fränkischen Heerbann aufgestiegen.
Während Ruppertus seine Gedanken schweifen
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