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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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wunderbar.
    Andere Matrosen hatten wilde Zwiebeln gesammelt und ein halbes Dutzend weiterer Kräuter und Sprossen. Diese wurden klein gehackt und mit Möhren und Paprika vermischt, die aus den Schiffsvorräten beigesteuert wurden. Sie hatte sich die Kombüse auf der Five Lucky Winds nie ansehen können und war daher von der Möglichkeit fasziniert, diesen Männern beim Kochen zuzusehen.
    Keine englische Köchin würde das Gemüse so klein schneiden. Und Childress hatte noch nie so große Pfannen gesehen wie die, die sie aus dem Unterseeboot an Land brachten. Die Kochgeräte saßen zitternd auf Steinen, die man ins Feuer gelegt hatte, und sahen wie flache Schilde ohne ebenen Boden aus – Woks.
    Doch zwei der kleinen Männer, die so verhutzelt und faltig aussahen wie junge Shar-Pei, beherrschten ihr Handwerk wie kein Zweiter. Sie widmeten sich ihrer Aufgabe mit einer Sparsamkeit und Kunstfertigkeit, die sie als besonders reizvoll empfand. Als sie das gehackte Schweinefleisch hinzugaben, gingen sie mit dem Öl sehr sparsam um. Eine dunkle Soße wurde darüber geträufelt, und schließlich wurde der Mischung noch das Gemüse beigegeben. Childress kam zu dem Entschluss, dass sie, sollte sie je unter normalen Umständen Zeit bei den Chinesen verbringen können, lernen würde, wie ein Chinese zu kochen.
    Das Ergebnis schmeckte himmlisch. Das Essen an Bord war hervorragend, weit besser als alles, was die Royal Navy jemals anzubieten hatte, wenn man den Gerüchten Glauben schenkte. Sie ging sogar davon aus, dass diese Mahlzeit sogar mit dem Besten mitzuhalten vermochte, was an Bord einer herzoglichen Jacht kredenzt wurde. Hier draußen übertraf dieses Essen alles, was sie in ihrem gesamten Leben jemals gekostet hatte – dampfend heiß auf Reis serviert und in einem Keramiktopf am Feuer warmgehalten.
    Der Himmel erstrahlte in kräftigen Farben, selbst ohne den flackernden Glanz des Lagerfeuers. Die Erdumlaufschiene zeichnete sich leuchtend hell vor dem dunklen Hintergrund ab. Der Mond zog auf seiner schillernden Bahn vorüber und war nicht mehr weit davon entfernt voll zu sein – eine bedeutungsschwangere, silberne Präsenz. Der Mondschein ließ das Wasser in der Bucht erstrahlen, ohne den Sternenschein zu schmälern. Childress trat für einen Augenblick mit ihrer Schüssel heißen, dampfenden Schweinefleischs vom Feuer weg und folgte mit ihren Augen Venus’ Umlaufschiene, die sich im Osten erhob. Die Sterne schienen so hell, dass sie glaubte, das Flackern ihrer individuellen Leuchten erkennen zu können. Wenn sie wüsste, wo sie zu suchen hätte, dann würde sie sogar die Schienen des Mars und vielleicht sogar des Jupiter entdecken.
    Sah Gott das Universum auf diese Art? Childress stellte sich vor, wie er Seine Schöpfung betrachtete, eine Perspektive, die ihm alles von allen Seiten zeigte. Wie musste es sein, Augen für jeden einzelnen Sonnenstrahl zu haben? Sich derartige Fähigkeiten vorzustellen, überstieg ihre Fantasie bei Weitem.
    Es fühlte sich an, als ob sie in den Himmel fiele, als ob sie in einer Wasserfläche auftauchte, von der sie nie gewusst hatte, dass sie über ihrem Kopf hing. Childress war nie davon ausgegangen, dass Gott ihr jemals persönlich zuhörte, aber sie wusste, dass Er der Welt zuhörte. Wie sonst könnte er die Dinge in seiner Schöpfung arrangieren?
    Sie begann zu beten.
    »Vater unser, der Du bist im Himmel,
    Handwerker sei Dein Name,
    Dein Reich komme,
    Dein Plan geschehe,
    Wie im Himmel, so auf Erden.
    Vergib uns diesen Tag der Abweichung,
    Wie auch wir vergeben unseren Abweichlern.
    Führe uns nicht in die Unvollkommenheit,
    Sondern erlöse uns vom Chaos.
    Denn Dein ist die Antriebskraft und die Präzision
    In Ewigkeit, Amen.«
    Als ihre Stimme verstummte, starrte sie in den Himmel und fragte sich, was sich auf der anderen Seite der samtenen Mauer der Nacht befand. Befanden sich dort die Träume Gottes?
    »Es ist Ihre Religion«, sagte Leung hinter ihr und erschreckte sie damit.
    Childress drehte sich zu ihm und beschwichtigte den Zorn, den die plötzliche Überraschung hervorgerufen hatte. »Das ist nicht meine Religion. Das ist die Welt.«
    »Nein, es ist Ihre Sichtweise der Welt.« Er starrte hinauf und legte eine Hand auf ihren Arm. »In China erachten wir die Art, mit der eine Person mit einer anderen Person verbunden ist, als das Kernstück dessen, was und wer sie sind. So ist ein Sohn ein Sohn für seinen Vater, und ein Soldat folgt seinem General. Alles auf der Welt ist so

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