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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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geschaffen, dass es zu etwas anderem gehört. Seine Himmlische Majestät ist zugleich das Herz und der Kopf der Weltordnung, so wie die Sonne das Herz und der Kopf des Universums ist.«
    »Sehen Sie.« Leung deutete auf den Faden um Venus. »Alles am Himmel ist mit allem anderen verbunden. Die Welt hat eine Ordnung und einen festen Platz. Darin erkennen wir, was ist und was sein wird. Eine Ansicht, genauso wie Sie Ihre Ansichten haben.«
    »Wer hat Ihre Welt erschaffen?«, fragte sie leise.
    »Sie existiert. Das reicht. Die Menschen erzählen sich Geschichten, aber die Welt hat weder Anfang noch Ende, genauso wenig die Erdumlaufschiene, die sich um die Sonne wölbt.«
    »Aber das Universum wurde erschaffen.« Sie hasste es, wie ihre Stimme zitterte, als sie auf diesen Tatsachen bestand. »Die Zahnräder wurden von Hand geschnitten. Man kann sie durch das einfachste Fernrohr erkennen und manchmal, wenn das Licht genau richtig ist, sogar mit bloßem Auge.«
    »Und?« Childress konnte Leungs Achselzucken praktisch spüren. Das war eine so typisch englische Verhaltensweise. Er sprach weiter: »Wir sind auch erschaffen. Jeder Baum, jeder Fels und jeder Wasserfall wurde erschaffen. Es ist nicht so schwierig, sich die Welt als Garten vorzustellen. Ihr Europäer macht euch über die Ursprünge so viele Gedanken. Die Ordnung der Dinge ist entscheidend, nicht ihr Ursprung oder welche Richtung sie einschlagen.«
    »Und dennoch leben wir in derselben Welt.« Sie hielt den Atem an, als sie sich in seinen Arm schmiegte.
    Leung wich ihr nicht aus.
    Als er wieder das Wort ergriff, stieß er seinen Atem in die kühle Luft aus, als ob auch er ihn angehalten hätte. »Du bist nicht die Maske Poinsard, oder?«
    Panische Angst befiel sie. Childress wäre fast vor ihm zurückgewichen. Sie wusste, dass sie in diesem Augenblick erstarrte und spürte, wie er es ihr gleichtat. Es ergab keinen Sinn, weiterhin zu lügen, wenn ihr Körper sie schon verraten hatte.
    »Nein«, sagte sie. »Poinsard starb auf der Mute Swan , soweit ich weiß.«
    »Bedauernswert.«
    Sie fragte sich, was er damit meinte, aber Leung sprach nicht weiter. Nach kurzer Zeit stellte sie die nächste Frage. »Was wird mit mir geschehen?«
    »Das liegt ganz an dir.« Leung presste sie an sich. »Ich kann mit der Maske Poinsard an Bord nach Tainan segeln. Ich glaube nicht, dass die Beiyang Navy den Unterschied erkennen würde. Es gibt in Nanjing einige, die das mit der Zeit schaffen würden, aber du könntest diese Rolle recht lange spielen.«
    »Mein Name bestimmt für mich über Leben und Tod, in diesem Ozean, weit entfernt von meiner schützenden Heimat.«
    »Ja. Es gibt bei uns eine Denkrichtung, die die Berichtigung von Namen fordert, denn ein Ding ist nur dann an seinem richtigen Ort, wenn es den richtigen Namen hat.« Er hielt inne, vielleicht um zu lächeln. Childress fürchtete sich davor, Leung anzusehen. »In den Sprachen Chinas kann ein Ton verschiedene Bedeutungen haben. Tiger oder Mut oder See, und das alles mit einem Ton und seiner Aussprache. Das ist eine komplexere Frage, glaube ich, als es in deiner Sprache wäre. Auf jeden Fall hast du die Chance, dir deinen Namen zu geben. Sei, wer du sein willst. Die Maske Poinsard. Oder irgendeine andere tapfere Frau von wohlüberlegtem Auftreten und umsichtigem Verstand.«
    Childress kämpfte sich durch seine Worte und versuchte, sowohl die Kritik als auch das Kompliment zu enträtseln, die er ihrer Meinung nach in seiner Aussage untergebracht hatte.
    »Ich glaube, er weiß es«, sagte sie schließlich. »Dein Politoffizier.«
    »Choi?«
    Sie lachte. »Hast du mehr als einen?«
    »Nein, nein.« Leung ließ sie los, eindeutig verwirrt. »Er spricht Englisch?«
    »Ein wenig. Und er weiß etwas von den avebianco . Ich glaube, er weiß, wer ich bin. Oder, um genauer zu sein, wer ich nicht bin.«
    »Ich verstehe.« Ein kurzes Schweigen folgte. »Es wird schwierig werden, uns seiner Verschwiegenheit zu versichern.«
    Childress wählte ihre nächsten Worte mit Bedacht. »Ein anderer Mann würde einen Unfall vortäuschen.«
    »Ich bin kein anderer Mann. Abgesehen davon«, gab er zu, »hätte das Konsequenzen. Er ist der einzige Matrose, der auf diesem Schiff nicht meinem direkten Kommando untersteht.«
    »Eine recht praktische Lösung.«
    »Das ist sie.« Leung umarmte sie erneut. »Wie würde sich denn eine andere Frau verhalten?«
    »Die Maske Poinsard würde ihm die Kehle durchschneiden«, sagte Childress. »Oder sie würde

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