Die Räder des Lebens
meinem, dann würde das hier nicht geschehen.«
»Ottweill würde niemals einen Flaggoffizier abgeben. Dem wäre vorher was zugestoßen.«
»Nein, nein, darum geht es mir nicht.« Hornsby lachte leise. »Obwohl du natürlich recht hast. Nur … du bist mir nicht per Anordnung verpflichtet.«
»Ich stehe auch im Dienste Ihrer Majestät.«
»Das mag schon sein. Aber ich bin dir auch nicht verpflichtet, wie Offiziere es ihren Männern sein sollten. Ottweill ist nur seinen verdammten Dampfbohrern verpflichtet.«
Selbst jetzt, in der ruhigen Abendfinsternis, konnte al-Wazir das Pochen hören, während die Maschinen immer tiefer in die Mauer eindrangen. Der Tunnel war nun weit genug vorgetrieben, dass eine erste Kammer in den Fels gesprengt werden konnte, sodass ein Teil der Ausrüstung und Vorräte, die ursprünglich im Lager verteilt gewesen waren, für einen schnelleren Zugang im Tunnel verschwand.
Er hatte überlegt, ob er Ottweill überreden sollte, einen zweiten, kurzen Tunnelabschnitt als Lagerraum graben zu lassen, damit sie vor allem die Munition und den Sprengstoff unterbringen konnten, aber im Moment waren dem Professor gegenüber alle Vorschläge sinnlos. Wenn er Glück hatte, würde sein Vorschlag einfach ignoriert. Es könnte aber auch passieren, dass er kurzerhand abgelehnt würde und später nur noch unter größten Schwierigkeiten umzusetzen wäre, wenn sich die Lage entspannt hatte.
Ottweill war nicht die Sorte Mann, die eine Entscheidung jemals zurücknahm, egal, wie wenig er seine ursprüngliche Haltung überdacht hatte.
»Diese großen Maschinen«, fing al-Wazir an und sprach die Worte in eine Stille hinein, die andauerte, als hüte sie sich davor, seinen Gedankengang zu unterbrechen. Er hielt inne. »Hörst du was?«
Hornsby sah sich um und sperrte die Ohren auf. Abgesehen von dem fernen Grollen des Bohrers in seinem Loch war nichts zu hören. »Alles ruhig.«
»Hier ist es nie ruhig.« Der Bootsmann sah zum Himmel hinauf. Wolken versperrten den Blick auf den Mond, wo immer der auch gerade sein mochte. Sie gaben nur einen düsteren, silbernen Schimmer ab, der so schwach wie das Gewissen eines Priesters war und den in nächtlicher Finsternis liegenden Dschungel kaum zu erhellen vermochte.
Wo war das Heulen und Krachen und Knarren einer afrikanischen Nacht?
Der Hauptmann drehte sich um und legte die Hände an den Mund, um zu rufen, aber dazu kam er nicht mehr. Begleitet von wirbelnden Federn und einem Lufthauch schoss ein Schwert herab, das seinen Kopf vom Hals trennte. Es war einer der geflügelten Wilden – ein nackter Engel, ein Vieh, das Gottes Diener imitierte und al-Wazir seit den Tagen an Bord der Bassett nur allzu vertraut war.
Der Bootsmann duckte sich und ließ sich auf die knarrenden Holzplanken der Palisade fallen, als ein weiterer Windhauch das Surren rasiermesserscharfer Flügelspitzen mit sich führte, genau an dem Ort, an dem er eben noch gestanden hatte. Er packte sich an die Seite, um sein Entermesser zu ziehen, aber es war nicht da. O mein Gott, unbewaffnet überrascht worden, wie ein blutiger Anfänger!
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich die Lunge aus dem Hals zu schreien.
»Angriff, Angriff«, brüllte al-Wazir. »Vorsicht, über uns!« Es fiel ihm schwer, wirklich laut zu sein, wenn er zugleich auf das Holz gedrückt wurde.
Flügel schlugen über ihm, während er wie eine Schlange zu Hornsbys Leiche robbte. Der Hauptmann hatte wie üblich seine Pistole getragen, einen Webley Dienstrevolver. Al-Wazir zerrte ihn hervor. Auf dem Griff befand sich Blut, das aus Hornsbys Hals hervorgespritzt war.
Er hatte Pistolen nie gemocht, aber wenigstens konnte er damit kämpfen.
Er drehte sich auf den Rücken und zielte mit der Pistole in den Himmel. Ein Umriss flog in niedriger Höhe über ihn hinweg. Er betätigte den Abzug. Der blieb hängen.
Das verdammte Ding hatte einen Sicherungshebel!
Eine Klinge blitzte im schwachen Mondlicht auf, als ein weiterer geflügelter Wilder direkt neben seinen Füßen landete. Er suchte in der Dunkelheit verzweifelt nach dem Hebel und verfluchte Hornsby dafür, ein so vorsichtiger Mann gewesen zu sein. Etwas klickte, und er zog den Abzug erneut durch.
Ein kurzes Aufblitzen von Schießpulver führte dazu, dass in dem schlanken, tätowierten Brustkorb des mörderischen Engels eine blutrote, fließende Blume erblühte.
Der Nachhall des Schusses schien das Lager aufzuwecken, was sein Schreien nicht geschafft hatte. Es standen keine
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