Die Räder des Lebens

jetzt hast du einen richtigen Namen.«
    »Danke, Sir.«
    Paolina wusste nicht, ob sie kichern oder weinen sollte.
    Al-Wazir
    »Die Sache ist wie folgt, Mädchen«, sagte al-Wazir. Er merkte, wie er die Hände ausbreitete, als ob er diesem jungen Mädchen irgendetwas zu erklären hätte. Das war aber nicht seine Absicht, also ließ er seine Fäuste wieder auf seine Oberschenkel sinken. »Ich weiß ja nicht, wer dir diese Dinge eingeredet hat, aber weder die Bassett noch England sind so, wie du es zu glauben scheinst.«
    »Davies«, sagte sie. »Clarence Davies, der Arzthelfer, hat mir alles erzählt.«
    »Davies?« Al-Wazir musste darüber nachdenken. »Ein kleiner Bursche, ziemlich hübsches Gesicht? War nie ganz von sich selbst überzeugt, aber hatte was von einem Schläger? Er ist über Bord gegangen, lass mich mal überlegen … zwei Monate, bevor wir das Schiff verloren haben.« Es fiel ihm wieder ein. »Er hatte einen Fallschirm, wenn ich mich recht entsinne. Woher stammst du noch mal?«
    »Praia Nova.« Sie lächelte freundlich. »Ein kleiner Hafen, Hunderte von Kilometern westlich von hier, weit jenseits der westlichen Grenze des Salomonischen Königreichs von Ophir.«
    »Ziemlich weit entfernt von der Bucht von Benin, also.« Al-Wazir kratzte sich am Bart und wurde sich klar, dass er neben dieser Kindfrau ein riesiger, ungewaschener Bär war. Sie schien kaum alt genug für ihren Rock zu sein, aber ihr Auftreten hätte kaum selbstsicherer sein können. »Warum glaubst du, dass dir ein Zauberer helfen könnte, wenn wir mal davon ausgehen, dass ich einen zur Hand hätte?«
    »›Zauberer‹ mag vielleicht nicht das richtige Wort für meine Absichten sein«, sagte sie langsam. »Ich suche jemanden, der sich mit den Bewegungen und Zeitabläufen auskennt, die die Welt antreiben. Jemand, der die verborgenen Zyklen hinter Gottes Werk erkannt hat. Jemand, der mir zeigen kann, wo ich als nächstes hinsehen soll.« Sie zögerte einen Moment, aber dann sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus – das war eine einstudierte Rede, wenn er ihren Auftritt mit all seinen Luftschiffmatrosen und den Ausreden verglich, die die einem vorsetzten, wenn man ihnen etwas vorzuwerfen hatte. »Ich habe die Bewegungen der Planeten und von Ebbe und Flut berechnet. Ich habe den Durchmesser der Erde entdeckt, und ich glaube auch zu wissen, wie schwer sie ist. Ich kann den Rhythmus erkennen, der am Grund aller Existenz den Herzschlag der Schöpfung darstellt. Ich weiß einfach nur nicht, was das alles bedeutet oder wie ich damit umgehen soll.«
    »Ah, Mädchen. Die meisten Leute verstehen ja nicht einmal, dass die Erde sich dreht, mal ganz abgesehen von allem anderen. Du redest wie ein Navigator. Wer hat dir denn das alles beigebracht? Welcher Lehrer oder Zauberer war in Praia Nova, um dir die Augen für einen Blick auf die Welt zu öffnen? War es vielleicht ein Mann namens Simeon Malgus, der auch von der Bassett gestürzt ist? Vielleicht beschützt du ihn ja.«
    »Niemand.« Paolina sah ihren Metallmann an, als ob er ihr helfen könnte. Er war auf merkwürdige Weise schön und wirkte viel zu echt; wie ein Mensch, den man in Gold getaucht hatte. »Niemand. Ich habe das selbst herausgefunden, selbst als sie es mir verboten haben.«
    Das machte al-Wazir nachdenklich. Er hatte genügend Jungs verprügelt oder ihnen geschmeichelt oder sie zum Erwachsenen gemacht, ob nun zu Wasser oder in der Luft, um ein Gefühl dafür zu haben, wenn so ein Frechdachs ihm Seemannsgarn auftischte. Bei diesem Mädchen war das nicht der Fall. Oder zumindest glaubte sie ihren eigenen Worten, ob die sich außerhalb ihrer eigenen Erfahrungswelt nun als wahr bewahrheiteten oder nicht.
    Aber was sie sagte, ergab überhaupt keinen Sinn. Es dauerte Jahre, um einem Navigator das beizubringen, was er wissen musste, oder einem Kartografen oder einem Horomanten oder irgendjemanden, der sich in all den anderen Disziplinen auskannte, um später in stillen Räumen die Befehle zu erteilen, die sowohl Männer als auch Schiffe durch die Welt bewegten. Man benötigte sicherlich ein gewisses Maß an Talent oder angeborene Fähigkeiten, aber es galt auch, eine unheimliche Menge zu lernen. Al-Wazir konnte eine Passagier- oder Besatzungsliste gut genug lesen, und er wusste auch, wie er die Bücher des Zahlmeisters zu kontrollieren hatte und wie er einen Blick auf die Quittungen des Quartiermeister werfen konnte. Aber er hatte nie ein Händchen für diese quälend langen und