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Die Räder des Lebens

Die Räder des Lebens

Titel: Die Räder des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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tiefgründigen Phasen der Abstraktion gehabt, wie es bei Männern wie Malgus oder Lloyd George der Fall war.
    Er hatte noch nie von einem Mann gehört, der sich allein von einem Kleinkind zu jemandem entwickelt hatte, der das Wesen der Welt verstand. Er hatte ganz gewiss noch nie von einer Frau gehört, die dergleichen erreicht hatte.
    »Was ist das für ein Geräusch, das man mitternachts hören kann, Mädchen?«, fragte er sanft. Das war etwas, über das dieser Junge, Hethor, die ganze Zeit gesprochen hatte.
    »Die Erde berührt ihre Umlaufschiene, die wiederum um die Sonne rotiert«, antwortete Paolina sofort.
    »Und wie breit ist diese Schiene?«
    »Ich schätze etwa zweiunddreißig Kilometer.«
    Das war mehr, als al-Wazir wusste, um ehrlich zu sein, aber die unverzügliche Sicherheit, mit der diese Antworten gegeben wurden, hätten jedem Offizier gefallen. Mal ganz abgesehen von ihrer offensichtlichen Ehrlichkeit.
    »Woher weißt du das, Mädchen?«
    »Im Lauf der Zeit habe ich den Winkel der Umlaufschiene am Himmel zu allen Tageszeiten berechnet. Ich habe dann meine Beobachtungen miteinander verglichen und das aus den Unterschieden bei ihren Werten und der offensichtlichen Helligkeit geschlossen.«
    »Wenn du lügst«, sagte er nach einem Augenblick, »dann würde ich das nicht mal bemerken. Vielleicht weiß das Professor Ottweill besser, aber ich möchte ihn im Moment nicht mit deiner Anwesenheit belästigen. Du bist ein Wesen der Mauer, Miss Barthes. Dein Schicksal liegt in meiner Hand. So wie es aussieht, ist vom guten Herrn Professor Doktor nicht zu erwarten, dass er den Verstand erkennen kann, der im Kopf einer Frau schlummert, egal, wie sehr sie recht haben sollte.«
    »Was bedeutet das?«, fragte sie misstrauisch.
    »Es bedeutet, dass ich nicht beweisen kann, ob du nicht ein zweiter Newton bist, Kleine. Es bedeutet, ich weiß nicht, was ich hier mit dir soll. Es bedeutet, dass ich glaube, du solltest nach England gehen und mit einem Mann reden, den ich dort kenne, und der kann dich vielleicht dahin bringen, wo du hingehörst. Und vor allem bedeutet es, dass deine Intelligenz hier an der Mauer vermutlich völlig verschwendet ist.«
    »Die Mauer ist kein Ödland«, sagte der Messingmann.
    Sein Name war Boas, wie al-Wazir wieder einfiel. »Nein. Es ist ganz sicher kein Ödland. Aber es ist eine Wildnis. Dieses Mädchen ist dazu bestimmt, ein Leben in der Zivilisation zu führen. Ich habe deine Leute schon kennengelernt, die Blitze mit ihren Speeren verschießen und normalen Menschen das Leben ausbrennen. Wie läuft es so in deiner Zivilisation, Herr Messing?«
    »Das Salomonische Königreich von Ophir ist ein uraltes und ehrbares –«, fing er an, aber al-Wazir hielt eine Hand hoch.
    »Du kannst direkt aufhören, mein Freund Boas. Bist du hierhergekommen, um meinesgleichen zu töten?«
    »Nein. Ich folge ihr.«
    »Du kommst aus Ophir. Dieses Königreich hat uns in den letzten Monaten ohne Pause angegriffen.«
    »Ich bin ein Messing von Ophir.«
    »Warum bist du dann hier?«
    »Ich folge ihr.« Boas’ Wut und Leidenschaft schienen sich genau so schnell wieder zu beruhigen, wie sie eben aufgefahren waren.
    »Und würdest du ihr nach England folgen?«
    Boas und Paolina sahen sich lange an. Al-Wazir zupfte an seinem Kragen und verfluchte innerlich die Hitze. Schließlich fand das Schweigen ein Ende.
    »Er wird nicht mitkommen«, sagte Paolina. »Wir stehen uns nicht so nahe, wie Sie vielleicht denken.«
    »Ich bin enger an die Mauer gebunden als sie«, fügte Boas hinzu. »Ich interessiere mich nicht für das Vorhaben irgendeines Flachlandkönigreichs. Egal, wie viele Schiffe Ihre Königin hat.«
    »Gibst du mir dann dein Ehrenwort?«, fragte al-Wazir Boas. »Dass du bei uns bleibst, ohne unsere Bemühungen und unsere Sicherheit zu gefährden, und dass du in dieser Zeit deine Hand weder gegen England noch gegen die englischen Einheiten erhebst?«
    »Kann ich diesen Ort jederzeit verlassen?«
    »Nicht ohne Erlaubnis. Wenn du dich nicht meiner Aufsicht unterstellst, kann ich dir nicht erlauben zu bleiben.«
    Boas erstarrte. Dann: »Ich akzeptiere die Bedingungen. Aber nur ihretwillen.«
    »Was ist mit mir?«, fragte Paolina. »Muss ich auch mein Ehrenwort geben?«
    »Meine Liebe, ich glaube, ein wirklich vorsichtiger Mann würde dich in Ketten legen lassen.« Er lächelte. Ach, hätte er doch nur so ein Mädchen zur Tochter gehabt. »Dankenswerterweise bin ich kein wirklich vorsichtiger Mann. Abgesehen davon,

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