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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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schlug.
    »Sobald der Kopf abgeschlagen ist, rutscht der Körper in einen Weidenkorb, der sich in etwa da befindet, wo Sie jetzt stehen. An der Schnelligkeit und an dem vergossenen Blut erkennt man, wie gut ein Henker ist.«
    Malzac sah ihn verständnislos an, und Hippolyte erklärte:
    »Wenn der Körper auch nur eine Sekunde zu lange auf dem Schaukelbrett liegenbleibt, verliert er einen Liter Blut und beschmutzt alles. Ohne mich rühmen zu wollen, ich war einer der Schnellsten. Das können Ihnen die anderen Familien bestätigen. Selbst Anatole wird es Ihnen sagen. Ich habe nie mehr als ein halbes Glas Blut vergossen. Und wenn ich einen besonders guten Tag hatte, auch nur drei oder vier Tropfen.«
    Als die »Mechanische« wieder sorgfältig in den Kisten verstaut war, schlug ihm der alte Henker einen Besuch in der Krypta vor, doch es begann zu regnen, und sie mußten zunächst auf ihr Vorhaben verzichten. Das schlechte Wetter wurde immer schlimmer. Bald prasselte der Regen in Strörnen auf das Landhaus und die Umgebung nieder, und die Wege verwandelten sich in Schlammfelder.
    Hippolyte bot ihm an, im Landhaus zu übernachten.
    » Es mangelt uns wahrlich nicht an Platz. Sie essen mit uns, und dann werden wir den Abend nutzen, um mit Ihrer Arbeit voranzukommen.«
    Malzac erging sich in langen Dankesreden: Die Gelegenheit bot sich ebenso unverhofft wie unerwartet.
    Zum Abendessen gab es eine Gemüsesuppe, die in einer silbernen Suppenterrine aus dem Premier Empire aufgetragen wurde. Es folgten kaltes Lammfleisch mit einem Kressesalat, fünf verschiedene Käsesorten und ein Apfelkuchen. Zwischen zwei Bissen, die er mit einem Schluck Bordeaux herunterspülte, stellte der Anwalt seine Fragen. Hippolyte beantwortete sie und schweifte bisweilen ab, um diesen oder jenen Gesichtspunkt zu verdeutlichen.
    Casimir verhielt sich zumeist still, doch er war immer in der Nähe seines Herrn und schien bemüht, seine Anweisungen vorauszusehen. Malzac ertappte sich dabei, daß er sie um das harmonische Einvernehmen beneidete, das in diesem Haus zu herrschen schien ... Aber wie machten sie es nur, das Haus und das Anwesen so ordentlich und sauber zu halten? Er fragte nach.
    »Ein Teilpächterehepaar kümmert sich um den Haushalt und die Tiere. Aber wir kümmern uns um den Obst- und Gemüsegarten. Wir müssen uns schließlich in Form halten, falls ... «
    »Falls was, Monsieur Pibrac?«
    »Falls die Kommissionen in den Departements wieder eingesetzt werden. Es würde genügen, dieses infame Dekret Crémieux abzuschaffen, und schon wären wir wieder am Zuge. Und glauben Sie nur nicht, daß unser Alter ein Hinderungsgrund wäre. In unserem Beruf gibt es keine Altersgrenze.« Malzac legte das Besteck beiseite, um etwas in sein Notizbuch zu schreiben, das immer geöffnet neben ihm lag.
    »Jetzt reden wir schon seit zwei Tagen, und Sie machen sich Notizen. Welchen Eindruck haben Sie, Monsieur Malzac?«
    So vorsichtig, als würde er sich auf spiegelglattem Eis bewegen, versuchte der Anwalt auszuweichen:
    »Es ist zu früh, um eine Antwort darauf zu geben. Im Augenblick gebe ich mich damit zufrieden, Ihnen zuzuhören und zu staunen.«
    »Was sonst noch?«
    »Es wundert mich zum Beispiel, daß Sie durch das Amt des Henkers so reich geworden sind. Denn man muß sehr reich sein, um ein solches Mobiliar zu besitzen.«
    Mit einer ausholenden Geste deutete er auf das Zimmer und seine Einrichtung.
    » Nur Journalisten und Unwissende bezeichnen uns als Henker. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß die genaue Berufsbezeichnung Scharfrichter oder Vollstrecker der Todesstrafe ist, wie man jetzt sagt. Das sollten Sie in Zukunft nicht vergessen. Vor allem nicht in Ihrem Buch! «
    Hippolytes Ton hatte sich derart verändert, daß der Wachhund, der vor dem Kamin lag, den Kopf hob.
    » Ich werde es mir merken. Aber Sie müssen zugeben, daß es der Ausdruck ist, der in der Öffentlichkeit verwendet wird.«
    » Das mag sein, aber seit dem Erlaß vom 12. Januar 1787 ist es unter Strafandrohung verboten, uns so zu nennen. Wir können keine Henker sein, denn wir sind der rechte Arm der Justiz. Wir führen nur die letzte Handlung aus. Ohne uns würde es keine Todesstrafe geben. Man rühmt die Soldaten, die Unschuldige töten, die doch auch nur ihrem Vaterland dienen, aber uns, die wir nur Schuldige töten, straft man mit Verachtung.«
    Nach dem Abendessen brachte Casimir ihnen einen Tee aus Wurzeln, Erdbeeren und schwarzen Johannisbeeren, der mit einem Hauch von

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