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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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Melisse parfümiert war.
    » Sie haben mir noch immer nicht gesagt, wie das Amt des Scharfrichters« - Malzac betonte dieses Wort mit einem kleinen Lächeln - » Ihre Familie so reich gemacht hat. Oder ist meine Frage vielleicht indiskret?« Hippolyte deutete auf die hölzernen Schöpflöffel, die Malzac am Vortag mit Neugier betrachtet hatte.
    »Aber nein, das ist ganz normal. Das Recht, eine direkte Abgabe einzutreiben, hat uns reich gemacht, und der besonnene Umgang mit unserem Gewinn hat dazu geführt, daß wir reich geblieben sind. Die Tradition lehrt uns, unsere Ausgaben genau zu bedenken. Darum waren wir auch im Gegensatz zu vielen anderen Familien in finanzieller Hinsicht nicht durch das Dekret Crémieux beeinträchtigt.«
    »Und warum deuten Sie auf diese Schöpflöffel? Was haben die mit der Sache zu tun?«
    »Das sind Schöpflöffel zur Entnahme der Abgaben. Der älteste hat die Form einer Riesenhand. Er hat dem Ersten gehört, der ihn hat schnitzen lassen, nachdem die Bürger beim Baron eine Petition eingereicht hatten, um ihn daran zu hindern, seine Hand zur Entnahme des Tributs zu benutzen, da sie sie als zu unrein empfanden. Da kein Maß vorgegeben war, hat er den Schöpflöffel in dieser Größe anfertigen lassen. Außer den Handwerkern und Kaufleuten, die von dieser Steuer betroffen waren, haben alle gelacht. Und als sie sich erneut beklagt haben, hat der Baron sie zum Teufel geschickt. Als sich also der Erste zur Ruhe setzte, war er schon recht begütert.«
    »Was diesen Vorfahren und Begründer betrifft, was hat er eigentlich gemacht, ehe er der erste Scharfrichter in Ihrer Familie wurde? Wer waren denn seine Eltern? Ist Pibrac nicht eher ein Name, der aus der Haute-Garonne stammt?« Der Anwalt hatte diese Frage, die ihm seit seiner Ankunft auf den Lippen brannte, in möglichst gleichgültigem Ton gestellt. »Ins Schwarze getroffen«, sagte er sich, als Hippolyte den Blick abwandte und in scharfem Ton entgegnete:
    »Seine Vorfahren haben keinerlei Bedeutung, unsere Geschichte beginnt mit Justinien Pibrac dem Ersten.«
    Malzac zuckte ergeben mit den Schultern.
    Als die Uhr neunmal schlug, wünschte Hippolyte seinem Gast eine angenehme Nacht und begab sich in sein Arbeits- und Lesezimmer, um der Pflicht des abendlichen Tagebuchschreibens nachzukommen.
    Casimir zündete die Kerzen an, die in einem Leuchter in Form eines Herkules steckten, und bedeutete Malzac, ihm zu folgen. Er führte ihn in den Südturm in ein Zimmer mit kahlen Wänden und einem Baldachinbett, das von einem bronzenen Kohlebecken vorgeheizt wurde.
    Ehe er ihn allein ließ, zeigte ihm Casimir hinter einem Wandschirrn einen Nachtstuhl und einen Waschtisch aus Mahagoniholz.
    Die Uhr in dem großen Zimmer schlug zweimal.
    Eine Hand schützend um die Kerzenflamme gelegt, schlich Malzac mit klopfendem Herzen die Treppe hinauf, die zum Arbeits- und Lesezimmer führte. Zwar war er sich der Kühnheit seiner Handlung bewußt, doch er wußte auch, daß sich eine solche Gelegenheit nicht so schnell wiederbieten würde. Er hielt den Atem an, als er langsam die Tür öffnete und sie sogleich wieder unter allen nur erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen hinter sich schloß. Er hatte oft gehört, daß alte Leute einen leichten Schlaf hätten, ganz zu schweigen von dem riesigen Wachhund mit der Bärenschnauze, der sicherlich nur mit einem Auge schlief.
     
    Er stellte den Leuchter vor dem Schrank mit den >Erinnerungen< auf den Boden und öffnete ihn. Beim leisesten Knarren zuckte er zusammen. Das Zimmer roch nach kaltem Tabak und Melisse.
    Malzac ergriff den ersten Band, der in schönes, vom Gebrauch leicht abgewetztes hellrotes Leder gebunden war und dessen Ecken durch Silberplättchen geschützt waren. Der Rücken der Handschrift trug das Wappen der Pibracs. Der Verschluß aus ziseliertem Gold, in den die verschlungenen Initialen JP graviert waren, war offen. Malzac öffnete das Buch und näherte sich der Kerze, um besser sehen zu können.
    »Mein Gott«, sagte er schon bei den ersten Zeilen, »das habe ich nicht erwartet.«
    Etwas Hartes traf seinen Kopf, und er verlor das Bewußtsein. Als er die Augen wieder öffnete, lag er auf dem Boden seines Mietwagens. Es war noch immer Nacht, der Wind pfiff und der Regen prasselte auf das Verdeck. Unbeeindruckt von dem schlechten Wetter graste das Pferd zwischen den Deichselstangen. Ganz in der Nähe zeichnete sich die Mauer mit den Partisanen des Herrenhauses ab.
    » Sie haben mich rausgeworfen! « stellte er

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