Die Regenbogentruppe (German Edition)
das Leben wurde, desto häufiger las ich in dem Buch von Herriot. Oft besuchte ich Edensor in meinen Träumen. Aber wenn ich wieder aufwachte, wurde mir das Herz schwer, weil ich an A Ling denken musste.
Eines Abends nach der Arbeit saß ich träumend unter dem Kapokbaum vor dem Zimmer, das ich in der Nähe des Sempur-Parks gemietet hatte, blickte auf den Ciliwung und haderte mit meinem Schöpfer.
»Ja, Allah, habe ich Dich nicht früher immer gebeten, wenn ich mit meinem Plan scheitern sollte, Schriftsteller und Badminton-Spieler zu werden, dann lass mich alles werden, bloß kein Angestellter bei der Post! Und gib mir auf keinen Fall eine Arbeit, die mit dem Morgengebet beginnt!«
Offensichtlich hatte Gott konträr auf meine Gebete reagiert. So ist es mit Gott. Wenn wir ein Gebet und seine Erfüllung als Variablen in einer linearen Gleichung nehmen, dann ist es wie die Regenzeit – wir können höchstens eine Vorhersage machen. Die Handlungen des Herrn sind unbegreiflich. Gott beugt sich keiner Forderung und schert sich um keine Theorie.
Und das war ich im Moment: Nach dem konservativen Ansatz der Statistiker zählte ich zu denen, die im Dienstleistungssektor tätig sind, mit einer Tagesration von weniger als 2100 Kalorien auskommen müssen und sich ganz in der Nähe der Armutsgrenze bewegen.
Arm war ich immer schon gewesen, daran war ich gewöhnt. Ich gehörte zu den Zwanzig- bis Dreißigjährigen, lebte als Junggeselle, war gesellschaftlich unbedeutend und hatte eine Arbeitszeit von zehn Stunden am Tag – das war meine demografische Einordnung. Psychografisch gesehen war ich ein männliches Subjekt, das einsam war und verzweifelt Zuwendung suchte. Die Werbung sah in mir einen Kunden für Haaröl, Mittel gegen Haarausfall, Deos und sonstige Produkte, die in irgendeiner Weise dazu beitragen, das Selbstvertrauen zu stärken. Die Welt kümmerte sich nicht um mich, und der Staat kannte mich bloß in Form einer neunstelligen Nummer, 967.275.337, meine Personalnummer als Staatsangestellter von Post und Giro.
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Meine Arbeit als Sortierer war nicht mit Glücksgefühlen verbunden. Sie gehörte nicht zu den Berufen, die die Schüler beim Karneval vorführen. Jeden Tag wurde ich mit dem Inhalt Dutzender Postsäcke aus aller Herren Ländern überschwemmt, mich umgaben Schweiß und Staub. Meine Zukunft bestand aus einem Rentnerdasein in Armut mit einer miserablen ärztlichen Versorgung und einem Tod im Elend als ein Niemand.
Nach der Arbeit war ich nicht mehr fähig, mich in die Gesellschaft anderer zu begeben, und es befiel mich, vielleicht vor Enttäuschung über all die zerbrochenen Träume, das typische Leiden von Leuten, die unter Stress stehen: Schlaflosigkeit.
Jede Nacht hörte ich in einer Art Dämmerzustand Wayang -Geschichten im Radio. Wenn die zu Ende waren, keine anderen Radiosendungen kamen und ich immer noch nicht schlafen konnte, lauschte ich dem Rauschen und Pfeifen im Radio. Der Schwachsinn senkte sich langsam, aber sicher auf mich nieder.
Nach diesen nächtlichen Qualen stand ich noch vor Morgengrauen auf und ging zur Arbeit. Ich schleppte mich in der Kälte die nebelige Uferböschung des Ciliwung entlang zum Postamt, um dort wieder Tausende von Briefen zu sortieren. Mein Frühstück bestand aus Beschimpfungen durch Kunden wie der Madame aus Holland.
Das war damals mein Leben. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte, ich hatte keinerlei Plan. Alles war ungewiss. Das Einzige, was ich wusste, war, dass ich gescheitert war.
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Wenn es in meinem Leben noch etwas gab, was mich aus den bedrückenden Niederungen meines Alltags herausholen konnte, dann war das Eryn Resvalda Novella. Sie war gerade 21 Jahre alt, war klug, schön, fromm und besaß ein gutes Herz. Ich nannte sie die Preisgekrönte, weil sie an einer renommierten Universität in Depok als beste Studentin ausgezeichnet worden war. Sie studierte dort Psychologie. Sie war die Tochter meines Bruders. Leider war er gerade arbeitslos und so übernahm ich die Kosten für ihr Studium.
Wenn ich sah, wie fleißig sie studierte, wie positiv sie sich gab und welche Intelligenz in ihren Augen lag, dann war meine Müdigkeit von der Arbeit wie weggeblasen. Dann machte ich gern viele Überstunden, nahm kleine Jobs im Übersetzen englischer Texte an, tippte Briefe für andere Leute, arbeitete stundenweise in einem Fotokopierladen, um mir dabei etwas Extrageld zu verdienen, versetzte meinen Kassettenrekorder, das Kostbarste, was ich besaß, um ihre
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