Die Regenbogentruppe (German Edition)
keinen einzigen Augenblick von seiner Mutter trennen. Wenn er morgens aufsteht und die Mutter nicht in seiner Nähe ist, fängt er furchtbar an zu schreien. Die dauernde Abhängigkeit hat bei der Mutter selbst zu einer Störung geführt. Die beiden sind jetzt fast sechs Jahre hier.«
Professor Yan führte uns zu einem abgelegenen Zimmer. Besorgt versuchte ich mir vorzustellen, was für ein Anblick mir bevorstand. Ob ich die Kraft besäße, ein so schweres Leid mit anzusehen? Wäre es nicht besser, draußen zu warten? Professor Yan öffnete die Tür.
Wir standen am Eingang und blickten in einen großen, verlassen wirkenden Raum. Die Beleuchtung bestand aus einer einzigen Lampe, die so niedrig hing, dass die Zimmerdecke dunkel blieb. Außer einer kleinen langen Bank in der Ecke war kein Möbelstück zu sehen.
Darauf saßen, vielleicht fünfzehn Schritte von uns entfernt, zwei unglückliche Gestalten, eine Mutter mit ihrem Sohn. Ihre Bewegungen waren fahrig. Es war, als wollten sie um Hilfe bitten, erbärmlich.
Der junge Mann war groß und hager, er saß ganz aufrecht da, hatte langes ungekämmtes Haar, das sein Gesicht halb verdeckte. Auch der dichte Schnurrbart war ungepflegt. Seine Haut war blass.
Seiner Mutter sah man an, dass sie sehr schwach war. Über ihren Augen lag der Schatten einer schweren Krankheit. Sie trug Sandalen aus Plastik, die ihr zu groß waren. Ihr Gesicht verriet, dass sie einem unerträglichen seelischen Druck ausgesetzt war.
Als wir eintraten, blickten die beiden nur kurz auf, der Sohn drängte sich dichter an seine Mutter und ergriff ihren Arm. Ich konnte nicht anders, ich musste den Raum verlassen.
Der Professor half Eryn bei der Befragung der beiden Patienten. Sie dauerte fast eineinhalb Stunden. Als Eryn fertig war, bedeutete sie mir, ich sollte mich doch nun von der Mutter und ihrem Sohn verabschieden. Also kehrte ich in das Zimmer zurück und versuchte zu lächeln, auch wenn mir das Leid der beiden Unglücklichen unglaublich naheging.
Wir drei verließen den Raum, Eryn und der Professor zuerst, ich folgte ihnen und ergriff die Klinke, um die Tür zu schließen. In dem Moment erschrak ich, weil jemand meinen Namen rief: »Ikal.«
Eryn und Professor Yan zuckten ebenfalls zusammen. Wir blickten uns um. Außer uns und den beiden Patienten war niemand da. Die Stimme kam jedoch aus dem Raum, den wir gerade verlassen hatten. Ich zögerte, die Tür erneut zu öffnen.
Da rief es abermals: »Ikal.«
Kein Zweifel, einer der beiden Patienten hatte meinen Namen gerufen. Ich drückte die Klinke und ging ins Zimmer zurück. Vorsichtig näherte ich mich den beiden Patienten. Etwa drei Meter vor ihnen blieb ich stehen. Beide standen jetzt auf. Ich betrachtete sie eingehend. Die Mutter hatte den Kopf gesenkt, ihr Sohn weinte. Mit zitternden Lippen wiederholte er mehrmals meinen Namen, als hätte er schon jahrelang auf mich gewartet. Er streckte die Arme nach mir aus. Immer noch irritiert trat ich näher, um ihn genauer anzusehen. Da strich der junge Mann seine Haare, die sein Gesicht verdeckt hatten, zurück. Ich konnte nicht glauben, was ich sah, fast hätte ich aufgeschrien. Ich kannte den jungen Mann: Es war Trapani.
45 Der Bus, der uns heimbrachte, fuhr an dem Gemischtwarenladen Sinar Harapan vorbei. Das Geschäft hatte sich nicht verändert, es sah noch genauso heruntergekommen aus wie früher. Auf der anderen Seite der Straße war ein neues Geschäft entstanden, das sich Sinar Perkasa nannte, Strahl der Stärke. Der Ladenhelfer dort erregte meine Aufmerksamkeit. Er war groß, hatte langes Haar, das wie bei einem Samurai zu einem Knoten zusammengebunden war. Die Ärmel hatte er aufgekrempelt, ganz bewusst zeigte er seine Muskeln. Es war nicht auszuschließen, dass sich der Besitzer des Ladens bei der Namensgebung vom Auftreten seines Helfers hatte inspirieren lassen.
Ich wandte den Blick noch einmal dem alten Laden zu, und die Erinnerung an die frühere Zeit stieg in mir auf. Ich musste lächeln. Es waren immer noch schöne Gefühle. Meine Liebe war anscheinend tiefer als die Petroleumfässer, die dort immer noch dicht an dicht standen. Da saß ich nun in dem klapprigen Bus, die Sehnsucht hatte mich eingeholt, und ich kam mir plötzlich glücklich vor, weil ich A Ling damals meine Liebe gestanden hatte. Nicht alle Menschen haben dazu Gelegenheit, nicht alle erfahren eine so euphorisierende erste Liebe wie ich. Obwohl ich meine erste Liebe verloren hatte, gehöre ich zu
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