Die Romantherapie: 253 Bücher für ein besseres Leben (German Edition)
werden nicht nur sich selbst erleuchten, sondern sich zugleich sehr bezaubernd und erschütternd machen.
Freund; ein schlechter sein
Berlin Alexanderplatz
Alfred Döblin
Was haben Sie getan? Den Geburtstag Ihrer besten Freundin vergessen? Mit einem anderen als Ihrem besten Kumpel Bundesliga geschaut? Hinterrücks gelästert? Den hundertzwanzigsten Anruf Ihrer frisch geschiedenen Freundin auf Lautsprecher gestellt und zu Ihrem lauten Schluchzen gebügelt? ( ▶ Empathie, Mangel an ) Betrunken den Partner der besten Freundin/des besten Freundes befummelt? Schämen Sie sich! Und lesen Sie Döblins Berlin Alexanderplatz .
Achtung, ein bisschen Haltung, bitte. Schließlich sprechen wir über den bedeutendsten deutschen Großstadtroman. Den Roman, der die Montagetechnik, den inneren Monolog und das filmische Erzählen salonfähig machte, der schon 1929 den Typus des Mitläufers porträtiert hat, der wenige Jahre später einen ganzen Kontinent in den Wahnsinn führen sollte. Und der außerdem eine doppelt heilende Wirkung auf Sie haben wird: Er wird Ihr schlechtes Gewissen besänftigen. Ganz sicher. Wollen Sie wissen, was Reinhold seinem Freund Franz Bieberkopf, Döblins Hauptfigur, antut? In Ordnung: Reinhold zieht den Ahnungslosen in ein Verbrechen hinein, versucht, ihn zu töten, macht ihn zum Krüppel und erwürgt seine Freundin bei dem Versuch, sie zu vergewaltigen. Dagegen ist ein vergessener Geburtstag eine Lappalie. Zweitens wird er Ihnen eine Mahnung sein: Schließlich wollen Sie nicht so abgrundtief unmoralisch-dämonisch sein wie Reinhold. Sie wollen nicht dafür verantwortlich sein, dass ein Freund mit dem Leitspruch »Wach sein. Dem Menschen ist gegeben die Vernunft, die Ochsen bilden statt dessen eine Zunft« aus einer Irrenanstalt herausstrauchelt. 133
Bevor Sie nun aber der beleidigten Leberwurst von einer besten Freundin den Döblin vor die Nase halten von wegen, sie solle sich wegen eines vergessenen Geburtstags nicht so aufregen, sondern froh sein, dass Sie sie nicht beinahe umgebracht haben … ruhig Blut. Für Geburtstage gibt es Kalender und Apps. Und falls Sie's trotzdem mal vergessen, zeitigen auch heute noch Versöhnungsblumen und ein reuevoller Blick Wirkung.
▶ Freundschaft, zerbrochene
Freundschaft, zerbrochene
Also dann bis morgen
William Maxwell
Klagen über den Schmerz einer zerbrochenen Liebesbeziehung hört man allenthalben. Aber was ist mit dem Verlust einer Freundin oder eines Freundes, wenn man sich nach vielen gemeinsamen Jahren (aus welchen Gründen auch immer) hoffnungslos verkracht hat? Freundschaften schließt man schließlich für die Ewigkeit, und der Schmerz, wenn wir die eine Person verlieren, die wir vielleicht schon kennen, seit wir klein sind, die uns in unseren schlimmsten Momenten erlebt hat, fühlt sich an, als würde man uns die Eingeweide herausreißen. Nicht nur wird er oder sie uns schrecklich fehlen, sondern wir werden uns auch fragen, ob wir selbst denn ein guter Freund sind und überhaupt ein guter Mensch.
Eine solch traurige Situation beschreibt William Maxwell in all ihrer Schmerzlichkeit in seiner meisterhaften Novelle Also dann bis morgen . Clarence Smith und Lloyd Wilson haben zwei benachbarte Farmen gepachtet. Fernab im ausgedehnten Grasland des Staates Illinois gelegen, ist das einzige Licht, das man nachts von einem der Häuser aus sehen kann, das des anderen. Und im Laufe der Jahre lernen die 134 beiden Männer, sich aufeinander zu verlassen. Wenn Lloyd ein krankes Kalb hat, ruft er zuerst Clarence und dann den Tierarzt. Und wenn sich die Messer in Clarence' Mähmaschine verklemmen, dann hört Lloyd das Stottern des Motors aus einem halben Kilometer Entfernung, und wenn die Maschine nicht sofort wieder anspringt, fährt er gleich rüber. Sie sind sich gegenseitig der einzige Freund.
Fünfzig Jahre später erinnert sich der – selbst nicht mehr ganz junge – Erzähler dieser Geschichte, ein Mann, der in der Nähe aufwuchs und seine eigene bewegende Geschichte zu erzählen hätte, an Smith' und Wilsons Geschichte und deren tragisches Ende. Dabei geht es ihm nicht um Schuld und Unschuld, denn sowohl Smith als auch Wilson haben ihre Sicht der Dinge, und der Autor ergreift für keinen von beiden Partei. Dennoch bleibt eine große Traurigkeit, die für den Erzähler noch immer schwer zu ertragen ist. Maxwells langsame, elegische Sprache, die wie Nebel aus den Seiten steigt, wird Sie weit über simple »Er sagt«/»Sie sagt«-Anschuldigungen
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