Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
sich weit vor und rief dem unten stehenden Knechte zu:
»Paß auf; jetzt kommt die Schnur! Mach’ das Seil daran und schick’ auch Tücher und Deck’n herauf!«
Dem Gebote wurde Folge geleistet, und bald sah man den an das Seil befestigten Wiesenbauer in der Höhe erscheinen und sich an der steilen Wand herabgreifen. Als er den Boden erreichte, schloß er die Augen, und einige unarticulirte Laute waren Alles, was die Herbeieilenden aus ihm herausbrachten. Katharina und die Mutter sanken weinend bei ihm nieder.
Einige Zeit darauf schwebte ein umfangreicher Pack herab. Es war der in die verlangten Decken geschnürte Tannenbauer.
»Er ist todt!« berichtete man sich, als er aus der Umhüllung gewickelt war. »Der Böse hat ihn zerschellt; er ist ganz blau im Gesicht, und die Zung’ hängt ihm gar weit heraus! Jetzt kommt auch sein Neff’; schaut zu, ob der net stürzt!«
Gustav hatte die Schlinge des Seiles um das Spitzeisen befestigt und turnte sich mit langsamen Griffen zur Erde hernieder. Er hatte das fast Unmögliche geleistet, und je näher er kam, desto deutlicher war zu bemerken, daß ihn die übermäßig angestrengten Kräfte verließen. Noch hatte er den Boden nicht erreicht, da ließen die Hände vom Seile, und er stürzte noch vollends herab.
Katharina hatte der gefährlichen Seilfahrt mit angsterfülltem Herzen zugeschaut; sie warf sich mit einem Schrei des Entsetzens über ihn und küßte, ohne auf die Umstehenden zu achten, seine erbleichenden Lippen.
»Gustav, ich bitt’ Dich um Gotteswill’n, stirb mir net! Schlag’ doch die Aug’n auf und schau mich an! Was soll sonst aus uns werd’n?«
Eine leise, zuckende Bewegung ging über sein todtenblasses Gesicht.
»Kathrin’, laß uns Alle nach dem Tannenhof trag’n, und bleib’ auch Du da mit der Mutter!«
Der Klang ihrer Stimme hatte die fliehende Besinnung für einen Augenblick noch festgehalten; nun aber senkten sich die wieder geöffneten Lider von Neuem. Drei Männer lagen bewußtlos nebeneinander, und es schwieg die Feindschaft, welche eine so tiefe Kluft zwischen ihnen gerissen hatte.
Es war Nacht, und der trübe Schein eines kleinen Lämpchens erhellte das vordere Zimmer der Ruine nur nothdürftig. Heinemann erwachte aus dem ersten ruhigen und tiefen Schlafe, welchen die Schmerzen seines gebrochenen Beines ihm gegönnt hatten. Nur wenige Tage waren vergangen, seit er dem Feinde zum Hohne und Aerger den Teufel an das alte Gemäuer gestrichen hatte, und nun war ihm die Klause des verhaßten »Einsiedels« zum wohlthätigen Asyle geworden. Seit dem Augenblicke, an welchem er unter seinem Thorwege die Worte: »Wenn sich der Teufelsbauer sehen läßt, so giebt es sicher aan Unglück im Dorfe; wart’, ich will ihm zeig’n, daß ich noch immer der Alte bin!« zu sich gesprochen, hatte ihm der Advocat des Genannten tief hinab in das haßerfüllte Herz gegriffen und vernichtend Schlag auf Schlag gegen ihn geführt. Die Vergangenheit war mit ihren finsteren Gestalten an sein qualvolles Krankenlager getreten, und jede Stunde, an welche sie ihn erinnerte, hatte eine neue Anklage enthalten, war eine neue Drohung für ihn gewesen. Sollte es keine Sühne, keine Verzeihung geben? Ist im Himmel nicht mehr Freude über einen Sünder, der Buße thut, denn über neunundneunzig Gerechte, welche der Buße nicht bedürfen?
Da vernahm er durch die nur angelehnte Thür des Nebengemaches die leisen Worte des Tannenbauers:
»Marie, ich kann net schlaf’n und will mir Bücher such’n. Fahr’ mich hinein in die Stub’, aber recht leis’ und heimlich, damit wir den Wies’nbauer net weck’n!«
Die Thür wurde geräuschlos geöffnet, und unter derselben erschien Haubold, welcher blaß und leidend in einem Rollstuhle lag. Er war bei dem Falle von der Felsenkanzel äußerlich unverletzt geblieben, und seine starke Constitution hatte die dabei erfolgte innere Erschütterung beinahe überstanden.
»Du wachst, Heinemann?« fragte er, als er die offenen Augen desselben auf sich gerichtet sah. »Hast mehr geschlaf’n, als den ganz’n Tag. Wie geht’s nun alleweil’?«
»Im Bein mag’s leidlich sein, aber wo anders ist’s net so gut. Laß Deine Bücher, und komm her zu mir; ich hab’ mit Dir zu red’n. Oder hast’ net Zeit dazu?«
»Die Zeit ist da. Ich kann den Schlaf net find’n und mag schon bei Dir sein, wenn Du’s verlangst. Schieb’ mich hinzu, Marie, und bleib’ dabei, für den Fall, daß mich die Schwäch’ überkommt!«
Die
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