Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
auf demselben Platze und sprach vor sich hin:
»Was wäre das für ein Weib, wenn sie so sein könnte, wie sie zur guten Stunde oft sein will! Wie oft bin ich fast wahnwitzig über sie geworden; nun aber ist es mit ihrer Macht vorbei und die Pflicht gebietet mir, der Schlange das verderbliche Gift zu nehmen, so schwer es mir auch wird!«
2.
Der Mond schien heute so hell wie gestern. Der Förster hatte sich ermüdet in die duftende Haide gestreckt und unterwarf in Gedanken die Bewohner der vor ihm liegenden Häuserreihe des Dorfes einer sorgfältigen Musterung. Der ›Samiel‹ konnte unmöglich in einem fremden Orte zu Hause sein. Und doch wollte alles Sinnen und Grübeln zu keinem Resultate führen; es gab eben unter den Nachbarn keinen einzigen, auf den ein begründeter Verdacht geleitet werden konnte.
»Es bleibt dabei,« meinte er endlich, sich erhebend, »ich kann forschen und vergleichen so viel ich will: der Hermann ist’s! Er hat weder Vater noch Mutter mehr oder sonst ein Anverwandtes, braucht nur für sich zu schaffen und kann also thun und lassen was er will. Bei ihm ist es gleich, ob er irgendwo dient oder sich im Forst herumtreibt, und den kennt er ja fast besser noch als ich. Er und die Lisbeth sind Tag für Tag und oft bis in die tiefe Nacht hinein darin herumgestrichen, als sie noch Kinder waren, und später ist es wohl auch nicht viel anders gewesen. Schießen kann er auch wie Einer, und wenn ich die Rache für meine Abweisung hinzufüge, so bin ich mit mir einig. Aber ich werde ihn ganz sicher noch bekommen, vielleicht gar noch heute! Gestern ist er diesseit vom Dorfe gewesen, heute wird er also wohl nach jenseit hinüber gehen, und ich kann ganz gut vermuthen, bei welchem Wechsel er dort sich niederlegt. Am besten ist’s, ich komme eher als er, darum muß ich fort von hier!«
Er schritt auf das Dorf zu, um es quer zu durchschneiden. Sein Weg führte ihn hart an dem Wirthshause vorüber, vor welchem innerhalb der Umzäunung an einigen zusammengerückten Tischen die gewohnten abendlichen Stammgäste Platz genommen hatten. Auch er saß zuweilen ein Stündchen in ihrer Reihe und würde sich wohl auch jetzt für eine kurze Zeit zu ihnen gesellt haben, wenn ihn nicht sein heutiger Vorsatz daran verhindert hätte. Schon stand er im Begriffe, unbemerkt vorüber zu gehen, als er ein Wort vernahm, welches ihn zum Stehenbleiben veranlaßte.
»Und nun kommt das Funkelnagelneueste, was heute in der Nacht passirt ist. Habt ihr es schon vernommen?«
Es war die Wiesenbäuerin, welche sprach. Sie saß häufig dort mitten unter den Männern und trank ihr Glas Bier. So hatte sie es gehalten, seitdem sie Bäuerin war, und es fiel auch nicht besonders auf, da man dergleichen Ungewöhnlichkeiten bei ihr längst gewohnt war.
»Der ›Samiel‹ hat wieder einen Zwölfer geschossen,« fuhr sie fort, »und dabei den Förster an den Baum gebunden. Ich vernahm es von dem Beihüter, der das Thier hat holen müssen.«
Die Neuigkeit wurde unter allgemeiner Theilnahme für den Förster aufgenommen. Man bedauerte ihn auf das Lebhafteste und wünschte ihm Glück bei dem Bestreben, den räthselhaften Wilderer endlich festzunehmen.
»Ja, ein guter Kerl mag er sein,« meinte die Erzählerin, »das will ich euch gar nicht bestreiten, aber an der Klugheit mangelt es ihm gewaltig. Er hat den ›Samiel‹ bei der Treffschau überrascht, ihn mit dem Kolben niedergeschlagen und ihm sodann die Arme verschnürt. Der aber ist bald wieder bei Besinnung gewesen, und während nun der Förster ausweidet, zerreißt er die Schnur und macht sich über ihn her, so daß er ihn wirklich an den Baum festbringt. Ist das nicht eine Schande für euern Blößenjäger?«
»Nein,« antwortete eine Stimme, bei deren Klange der Förster überrascht aufhorchte, »eine Schande für ihn ist es nicht, wohl aber eine Lüge von Dir, Wiesenbäuerin! Er hat den Schuß von fern gehört und ist herbeigeeilt; während er nun vorsichtig durch die Büsche schaut und Niemanden bei dem Zwölfer erblickt, erhält er von hinten den heimtückischen Schlag, der ihn betäubt, und als er später aufwacht, ist er angebunden. So ist es gewesen, und so unehrlich und hinterlistig wie der Schlag war, ist auch Deine Lüge!«
»Menge Dich nicht ein, Lakai, sonst muß man denken, Du bist der ›Samiel‹, weil Du Alles so sehr genau zu erzählen vermagst! Es ist so wie ich sagte, und wer es nicht glauben will, der kann es ja bleiben lassen. Dein Schwiegervater ist nun einmal
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