Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Ahnung, wann sie sie wiedersehen würde. Ihr Leben war von einem Tag zum anderen aus seinem Gefüge gerissen worden, und sie hatte zusehen müssen, wie sie sich in einer völlig veränderten Situation zurechtfand. Neben Mae kam sie sich manchmal wie eine alte Frau vor. Mae kicherte viel und himmelte einen Jungen aus St. Martin an, der sie nicht beachtete, über den sie aber dennoch ständig voller Aufgeregtheit reden wollte. Beatrice reagierte abwechselnd gereizt und gelangweilt. Sie fühlte sich von niemandem mehr verstanden.
Die Deutschen kamen in Rußland auf schon gewohnte Weise ungehindert voran; Erich verkündete jeden Abend neue Etappen und neue Siege.
Die Kanalinseln wurden mehr und mehr zu Festungen umgebaut, zu einer Art vorgelagertem Wall zum Schutz der französischen Küste. Die Besatzer ließen Züge aus Frankreich zum Materialtransport herüberbringen, neue Bahnstrecken wurden gebaut, stillgelegte Gleise wieder in Betrieb genommen. Überall entstanden Mauern, Türme, unterirdische Gänge. Man sah die Kolonnen der Zwangsarbeiter durch die Straßen ziehen - zerlumpte, hungrige Gestalten mit verzweifelten, angstvollen Augen. Seit Hitler Krieg mit Rußland führte, waren es viele russische Gefangene, die auf die Inseln gebracht wurden. Unter der Bevölkerung kursierte eine Menge erschreckender Gerüchte über Mißhandlungen, willkürliche Erschießungen, über Menschen, die vor Hunger und Erschöpfung zusammenbrachen und ohne ärztliche Hilfe in schmutzigen Baracken dahinvegetierten oder starben. Auf Alderney,
hieß es, entstehe ein Konzentrationslager, in das Juden vom Festland gebracht werden sollten. Die ganze Situation schien sich zu verschärfen. Die Besatzer wurden nervöser und damit gefährlicher.
»Die Deutschen übernehmen sich mit Rußland«, sagte Dr. Wyatt einmal, als Beatrice von Mae zum Abendessen eingeladen worden war und mit der Familie in dem gemütlichen kleinen Eßzimmer saß. »Noch läuft es gut, aber sie führen nun Krieg mit einem allzu starken Gegner, und irgendwie fangen sie an zu spüren, daß die Luft dünner wird.«
Man hörte von heftigen Bombardierungen Londons, und viele Inselbewohner hatten Angst um Verwandte, die sich dort aufhielten. Nach wie vor gab es keinen Kontakt, keine Verbindung nach England hinüber, aber es sickerten immer wieder Neuigkeiten, Gerüchte, Meldungen durch.
»Die Menschen in London können keine Nacht mehr schlafen«, hieß es, »sie sitzen nur noch in den Kellern, und ringsum krachen Häuser zusammen und brennen ganze Straßenzüge. Sie schicken die Kinder alle aufs Land. Es soll viele Tote geben.«
Hoffentlich gehen Mum und Dad auch aufs Land, dachte Beatrice.
Erich hielt sich nun öfter für einige Tage, manchmal auch für eine oder zwei Wochen, in Frankreich auf, ohne Helene und Beatrice zu informieren, was genau er dort tat. Helene vermutete, daß er den Transport von Baumaterial, hauptsächlich Stahlbeton, auf die Inseln herüber überwachte. Beatrice fand das Leben jedenfalls wesentlich leichter, wenn er nicht da war. Sie konnte öfter zu den Wyatts hinüber, denn obwohl sie mit Mae nicht mehr allzuviel anzufangen vermochte, verbrachte sie lieber einen Abend im Kreis der englischen Arztfamilie als zusammen mit Helene und ihrem ewigen Gejammere. Helene versuchte zwar stets, sie zum Daheimbleiben zu überreden, aber sie sprach kein Verbot aus, so wie Erich es tat. Beatrice konnte sich freier bewegen, und manchmal schlief sie sogar bei den Wyatts, weil es zu spät geworden war und Helene nicht verlangen konnte, daß sie sich nach der Sperrstunde noch hinausbewegte.
Über den Herbst und Winter hin wurden Erichs Depressionen schlimmer, und sie erreichten einen Höhepunkt am 24. Dezember, seinem Geburtstag. Weihnachten sollte nach deutscher Sitte gefeiert werden, mit einem richtigen Heiligen Abend, mit Tannenbaum, Kerzenschein und Lametta. Pierre und Will hatten den Baum gebracht und im Wohnzimmer aufgestellt, und Helene und Beatrice gingen am Mittag daran, ihn zu schmücken. Erich war im Schlafzimmer verschwunden und ließ sich über Stunden nicht blicken, bis Helene schließlich nervös wurde und meinte, Beatrice solle hinaufgehen und nach ihm sehen.
»Es ist immerhin sein Geburtstag. Er hat seine Geschenke noch nicht ausgepackt, und außerdem sollten wir allmählich die Torte anschneiden. Sag ihm doch, er soll herunterkommen.«
»Warum sagst du es ihm nicht?«
Helene hatte einen Blick wie ein furchtsames Kaninchen. »Ich weiß nicht...
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