Die russische Herzogin
würde es vielmehr zu neuem Zwist kommen?
*
Unauffällig versuchte Wera, die Arme ein wenig anzuwinkeln, um mehr Luft an den Körper zu lassen. Obwohl alle Türen des Ballsaales geöffnet waren, wehte kein Lüftchen herein. Eigentlich fand Wera Fächer ein wenig affektiert, doch nun zückte sie ihren, so wie es die anderen Damen, die mit ihr am Tisch von Wily und Herzog Eugen saßen, längst getan hatten. Missmutig registrierte sie, wie die junge Baronin Edith über ihren Fächer hinweg Wily kokette Blicke zuwarf, die dieser freudig erwiderte.
Fast ratlos schaute sie dann ihren Fächer an. Wie schmucklos auchdieses Stück war! Schwarze Seide und ein paar kleine Perlchen – mehr Zierrat wies er nicht auf. Gleich nächste Woche würde sie sich einen neuen kaufen, farbenfroh und mit Gold verziert. Margitta hatte völlig recht, sie war in der Vergangenheit viel zu bescheiden gewesen. Oder anders gesagt, hatte sie viel zu wenig Wert auf ihre äußere Erscheinung gelegt … Aber nun war es mit der unscheinbaren grauen Maus endgültig vorbei!
Während sie sich mehr oder minder kokett Luft zufächelte, überlegte sie krampfhaft, wie sie sich endlich wieder ins Gespräch bringen konnte. Dabei hatte sie Wily und Eugen doch so viel fragen wollen. Zum Beispiel, warum es den Deutschen nicht gelungen war, die Zitadelle von Bitsch einzunehmen. Hatten sich die neuen Hinterlader-Geschütze von Krupp wirklich als so famos herausgestellt, wie es überall in den Zeitungen propagiert worden war? Und stimmte es wirklich, dass die französischen Freischärler Menschen bei lebendigem Leib die Kehle durchschnitten? Doch plötzlich fand sie solche Fragen unpassend für diesen Abend.
Verlegen nippte sie an ihrem Wein und schaute verstohlen Eugen an, so wie sie es schon den ganzen Abend lang getan hatte. Dabei wurde ihr Körper ständig wie von kleinen Stromschlägen getroffen. Es prickelte und flatterte in ihrem Bauch.
Als sie den Herzog 1863 zum ersten Mal gesehen hatte, nannte sie ihn »den schönen Eugen« und verlieh ihrer Puppe denselben Namen. Nun, nach über sechs Jahren, stellte sie fest, dass Herzog Eugen noch viel, viel besser aussah. Die schwarzen Haare, die feurig funkelnden Augen, das markante Kinn, das er in einer Art nach vorn reckte, als wollte er sagen: »Was kostet die Welt? Egal, sie gehört schon längst mir!«
So ein schöner Mann …
Gedankenverloren fuhr Wera mit ihrem Finger den Rand ihres Weinglases entlang, bis ein schrilles Pfeifen ertönte. Erschrocken zog sie den Finger zurück. Oje, nun würden die beiden sie nicht nur für eine taube Nessel, sondern auch noch für kindisch halten. Umso erstaunter war sie, festzustellen, dass über Eugens bis dato eher grimmige Miene ein amüsiertes Lächeln zog. Rasch schaute Wera fort.
EineWeile nach ihrer damaligen Ankunft in Stuttgart war Eugen zusammen mit Wily nach Tübingen gegangen, um zu studieren, und sie hatten sich aus den Augen verloren.
»Für solch ein Studium wärst du viel zu faul und dumm. Und das nicht nur, weil du ein Mädchen bist«, hatte Wily sie damals aufgezogen. Ausgerechnet seine Worte hatten geschafft, was ihre ehemalige Gouvernante Madame Trupow – die heutige Frau Titow – mit all ihren Drohungen und Zwängen nicht erreicht hatte: Sie, Wera, hatte in schulischen Dingen einen gewissen Ehrgeiz entwickelt. Sie und dumm? Von wegen! Dem Prinzen würde sie es schon zeigen.
Während sie sich mit griechischer Mythologie und Arithmetik herumquälte, hatte sie am Rande mitbekommen, dass Herzog Eugen sein Studium schon im Jahr 1866 wieder abbrach, um am Krieg des Deutschen Bundes mit dem Königreich Preußen teilzunehmen. Danach hatte er sich anscheinend vom Militärdienst beurlauben lassen, um eine ausgedehnte Reise nach Amerika zu unternehmen.
Amerika – Wera hatte keine Ahnung, was ein Mensch dort wollte. Als der Deutsch-Französische Krieg begann, wurde Herzog Eugen als Oberleutnant eingesetzt.
Die Reise nach Amerika. Seine Rolle als Oberleutnant. Es gab so viele spannende Dinge, über die sie nach all den Jahren mit ihm hätte reden können. Sie räusperte sich laut, brachte aber wieder kein Wort heraus.
»Eine trockene Kehle, und das bei diesem herrlichen Wein?« Prinz Wily prostete Wera zu, dann trank er sein Glas in einem Zug leer. »Es ist verrückt: Da waren wir im Land von Bordeaux- und Burgunderwein stationiert und bekamen nichts als Pferdepisse zu trinken!«
»Wily!«, tadelten Wera und Eugen wie aus einem Mund.
»Trink in
Weitere Kostenlose Bücher