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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Langhauses stand noch, doch das nördliche Querschiff und die Nordwand der Apsis waren zum größten Teil eingestürzt. Der Ostflügel der Kirche war erhalten geblieben. Die beiden Männer umrundeten ihn und besahen sich die Südseite. Weite Teile der Südmauer waren eingefallen, und das südliche Querhaus hatte den Kreuzgang verschüttet. Das Kapitelhaus stand noch.
    Vor dem Torbogen am Ostrand des Kreuzgangs versperrte ihnen ein Trümmerhaufen den Weg. Es sah schlimm aus, doch erkannte Tom sofort, dass der Kreuzgang selbst unter dem Schutt einigermaßen verschont geblieben war. Er kletterte über das geborstene Mauerwerk, bis er an einen Punkt gelangte, von dem aus er in die Kirche hineinsehen konnte. Gleich hinter dem Altar führte eine halb verdeckte Treppe hinab in die Krypta. Die Krypta lag direkt unter dem Chor. Tom spähte hinein und untersuchte den Steinboden oberhalb der Krypta auf Bruchstellen. Zum Glück fand er keine – wahrscheinlich war die Krypta unversehrt geblieben. Tom behielt die Entdeckung vorerst für sich; Philip sollte die erfreuliche Nachricht erst im entscheidenden Augenblick erfahren.
    Der Prior war inzwischen weitergegangen. Tom sputete sich, ihn einzuholen. Auf der Rückseite des Dormitoriums schloss er zu ihm auf. Keines der Klostergebäude hatte, von einigen Kleinigkeiten abgesehen, Schaden genommen – weder das Dormitorium noch das Refektorium, weder die Küche noch das Backhaus oder die Brauerei. Philip hätte aus dieser Feststellung einen gewissen Trost ziehen können, aber seine Miene hellte sich nicht auf.
    Sie beendeten ihren Rundgang, wo sie ihn begonnen hatten – vor der eingestürzten Westfassade. Unterwegs hatte keiner von beiden auch nur ein Wort verloren. Mit einem schweren Seufzer brach Philip jetzt das Schweigen. »Das war ein Werk des Teufels«, sagte er.
    Jetzt ist meine Stunde gekommen, dachte Tom, holte tief Luft und sagte: »Es kann auch ein Werk Gottes gewesen sein.«
    Philip sah ihn überrascht an. »Wie das?«
    Tom wägte seine Worte genau. »Niemand ist verletzt worden. Die Bücher, der Klosterschatz und die Gebeine des Heiligen sind allesamt gerettet. Zerstört wurde nur die Kirche. Vielleicht wollte Gott eine neue.«
    Philip lächelte skeptisch. »Und wahrscheinlich ist es auch Gottes Wille, dass Ihr diese Kirche erbaut …« So sehr von Sinnen, dass ihm der Eigennutz in Toms Argumenten entgangen wäre, war er nun auch wieder nicht.
    Tom ließ sich nicht beirren. »Das mag wohl so sein«, erwiderte er. »Schließlich war es auch nicht der Teufel, der Euch am Vorabend des Brandes einen Baumeister geschickt hat.«
    Philip wandte sich ab. »Ja, gewiss wird es eines Tages eine neue Kathedrale geben«, sagte er. »Ich kann Euch bloß nicht sagen, wann. Und was soll ich in der Zwischenzeit tun? Wie soll das Leben hier im Kloster weitergehen? Wir sind nur hier, um Gott zu dienen und Gelehrsamkeit zu üben.«
    Der Prior war zutiefst verzweifelt. Für Tom war der Zeitpunkt gekommen, ihm einen Hoffnungsschimmer zu zeigen. »In zwei Wochen haben mein Sohn und ich den Kreuzgang so weit freigelegt, dass er wieder benutzbar ist«, sagte er in einem Ton, der zuversichtlicher klang, als es berechtigt gewesen wäre.
    Überrascht blickte Philip auf. »Meint Ihr wirklich?«, fragte er, doch sein Ausdruck hellte sich nur vorübergehend auf. »Aber wo sollen wir denn unsere Gottesdienste abhalten?«, setzte er niedergeschlagen hinzu.
    »In der Krypta. Die wäre doch dafür geeignet, nicht wahr?«
    »Ja, das wäre sie in der Tat …«
    »Ich bin sicher, dass die Krypta kaum Schaden genommen hat«, sagte Tom.
    Philip starrte ihn an, als wäre er der Engel der Barmherzigkeit.
    »Zuerst räumen wir den Weg zwischen dem Kreuzgang und den Treppen zur Krypta frei«, fuhr Tom fort. »Das geht verhältnismäßig schnell. Es mag in Euren Ohren merkwürdig klingen, aber es ist ein wahres Glück, dass diese Seite der Kirche nahezu vollständig zerstört ist. So besteht nämlich keine Gefahr mehr durch einstürzendes Mauerwerk. Die stehen gebliebenen Mauern muss ich mir genau ansehen. Es kann sein, dass wir die eine oder andere mit Streben abstützen müssen. Man sollte sie zudem jeden Tag auf neue Risse untersuchen, doch selbst dann ist es nicht ratsam, die Kirche bei Sturm zu betreten.« All diese Dinge waren sehr wichtig, aber Tom sah, dass Philip sie nicht aufnahm. Philip wollte von Tom nur Gutes hören, etwas Aufmunterndes, Hilfreiches. Die einzige Möglichkeit, den ersehnten

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