Die Schattenmatrix - 20
aus, oder?«
»Ja. Eure gute Figur ist natürlich von großem Vorteil. Aaron rauft sich immer die Haare, wenn eine Kundin, die nur aus prallen Kurven und Wölbungen besteht und drall wie eine Taube ist, ein maßgeschneidertes Kleid wünscht.«
»Habe ich denn gar keine Rundungen?«
»Na, na. Ihr habt schon welche, aber nur an den passenden Stellen.« »Meine Brust ist viel zu flach!«
Manuella lachte leise. »Seid froh. Üppige Brüste hängen sowieso nach ein paar Kindern. Ich ziehe Euch das Kleid jetzt wieder aus. Möchtet Ihr vielleicht einen Tee?« Manuella begann sanft, die Kleidungsstücke über Margarets Kopf zu streifen.
»0 ja, danke. Mein Mund ist völlig ausgetrocknet, und mein Hals … Ich habe vorhin auf dem Friedhof gesungen, und ich glaube, die kalte Luft hat ihm nicht gut getan.«
Manuella sagte nichts dazu, als wäre Singen auf dem Friedhof eine ganz normale Sache, und hängte das Kleid auf den gepolsterten Bügel. Während sich Margaret wieder anzog, goss sie Tee in eine dickwandige Tasse und tat zwei Klumpen Honig dazu. Der Tee war heiß, aber nicht brühheiß und sehr süß, aber Margaret trankt die Tasse vor Durst in einem Zug aus. Der Tee rann sanft ihre Kehle hinab und besänftigte ihre überstrapazierten Stimmbänder. Sie gingen wieder in den vorderen Teil des Ladens, wo inzwischen der Schuster eingetroffen war, ein kleines Bündel unterm Arm. Margaret freute sich, dass sie für diesen Teil der Anprobe sitzen musste. Sie sank auf eine Bank neben der Treppe zum Speicher, ließ sich vom Schuhmacher die Stiefel ausziehen und wärmte sich die Hand an der Teetasse.
Aaron und Ida standen am Schneidetisch, Ida befühlte die verschiedenen Stoffe und plapperte in einem Kauderwelsch aus Casta und Terranisch drauflos, die den dicken Schneider nicht im Geringsten zu verwirren schien.
Sie gaben ein lustiges Bild ab: der große Aaron über die zierliche Ida gebeugt, aber sie kamen gut miteinander aus.
Margaret sah sich nach Donal um, und ihr Herz schlug schneller vor Angst, sie könnte ihn verloren haben. Sie wuss
te, dass ihm in Aarons Laden nichts passieren konnte, aber immer wenn sie ihren bezaubernden kleinen Vetter ansah, dachte sie daran, wie sie ihn versehentlich in die Oberwelt geschickt hatte und dass er dort hätte sterben können. Aber da stand er ja, bei dem breiten Regal am Fenster, in dem bei schönem Wetter die Waren ausgestellt wurden. Doch er war nicht allein, eine dunkel gekleidete Gestalt beugte sich zu dem Jungen hinab, das Gesicht abgewandt, so dass Margaret nicht erkannte, wer es war.
Doch dann erhaschte sie einen Blick auf das rötlich-braune Haar und sah eine schnelle, vertraute Geste. »Ethan? Bist du das?« Der Schuster hielt ihren Fuß in den Händen und streifte ihm gerade etwas über, aber Margaret achtete kaum darauf. »Wie fühlen sie sich an?«
»Ja, Domna, ich bin es. Ich habe gerade mit Eurem Vetter geredet, er hat eine Menge Fragen.« Ethan richtete sich auf und kam strahlend auf Margaret zu, um sie zu begrüßen. »Er wollte über die großen Schiffe Bescheid wissen, genau wie ich, als ich Euch zum ersten Mal begegnet bin.«
»Wie fühlen sie sich an?«, wiederholte der Schuster, der völlig in seine Kunst vertieft war.
Folgsam bewegte Margaret die Zehen und stellte fest, dass die weichen Halbschuhe nicht drückten. Sie stellte ihre Tasse auf die Bank, stand auf und machte ein paar Schritte. Ethan kam näher. Er war noch immer ein schmächtiges Bürschchen, schien aber ein paar Zentimeter gewachsen zu sein, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte. Er hatte auch nicht mehr den hungrigen Gesichtsausdruck eines frustrierten Jungen. Margaret dachte daran, wie sie mit ihm zu dem Schreiber auf dem Pferdemarkt gegangen war, bevor sie mit Rafaella in die Kilghards aufbrach, und ein Empfehlungsschreiben an Rafe Scott für ihn diktiert hatte.
Sie bückte sich spontan und umarmte Ethan. Zu ihrer Freude und Überraschung erwiderte er die Geste. Seine Umarmung war heftig und voller unausgesprochener Gefühle, an denen jedoch nichts Kompliziertes war, seine Empfindungen waren klar und einfach. Margaret wünschte, alles ginge so leicht, wie Ethan auf seinen Weg zu den Sternen zu bringen.
Der Schuster war ein sehr zielstrebiger Mensch, wenn auch ein Künstler, er zupfte Margaret am Ärmel, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. »Sie drücken nicht, aber mit der Sohle des Linken scheint etwas nicht zu stimmen, ich glaube, die Wölbung ist ein bisschen zu flach.« Sie wippte von den Zehen auf die
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