Die schöne Betrügerin
monatelang gefoltert haben.« Sie schaute weg. »Ich habe Agatha gefragt.«
Dann fuhr sie fort: »Sie haben Ihre Kameraden jedenfalls nicht verraten. Die Informationen sind Ihnen in gewisser Weise aus dem Gedächtnis geraubt worden, aber dafür tragen Sie keine Verantwortung; Robbie kann schließlich auch nichts dafür, dass er Waise ist.« Sie kam näher, immer noch in der Hocke, bis sie ihm voll ins Gesicht sehen konnte. Sie legte die Hände an sein Kinn und zwang ihn, ihr in die Augen zu sehen.
»Betrauern Sie Ihre Kameraden. Betrauern Sie Ihre verlorene Unschuld. Aber lassen Sie die Schuldgefühle sein. Hören Sie auf, zurückzuschauen. Sie haben so viele Menschen, die Sie mit dem Blick nach vorn brauchen.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das stimmt nicht. Ich habe mich immer bemüht, keine persönlichen Beziehungen aufzubauen.«
»Keine Beziehungen? Wie können Sie denken, Sie hätten keine Beziehungen?« Sie zog mit verwirrtem Blick die Hände weg. »Was ist mit Ihrer Schwester? Was ist mit den Liars? Was ist mit Robbie, und Stubbs und Denny? Sie bilden ein Beziehungsgeflecht – wir alle!« Sie schüttelte den Kopf, als sei er begriffsstutzig.
»Wie können Sie meinen, Sie hätten keine Verpflichtungen? Sie haben Appleby. Sie haben eine Familie. Und Gott und Vaterland -«
»Genug!« James hielt sich die Ohren zu. Er spürte die Verflechtungen förmlich – als könne er keinen Schritt mehr gehen, kein Wort mehr sprechen, ohne sich in den einzelnen Strängen zu verheddern.
»James.«
Ihre Stimme war ohne die gekünstelte Tiefe so sanft, dass sich der Aufruhr in seinem Gehirn langsam beruhigte.
»James… vergessen Sie nicht -«
»Was vergessen?« Seine Stimme klang sogar in seinen Ohren verstört. Sein Kopf war voller schriller Stimmen, die zu viel wollten, zu viel brauchten …
Phillipa sprach sanft und klar. James nahm die Hände von den Ohren, um ihre sanften, besänftigenden Töne zu hören.
»Diese Beziehungen, diese Verpflichtungen, die Sie verspüren… sie gehen in beide Richtungen. Es gibt Menschen, die von Ihnen abhängig sind, ja. Und es gibt welche, von denen Sie abhängig sind.« Sie lachte – ein kleiner wehmütiger Laut. »Sie stehen nicht allein da, selbst wenn Sie es wünschten. Sie werden von den anderen getragen, so wie auch Sie andere tragen.«
Er spürte Hoffnung aufkeimen. Stimmte das? War das Geflecht keine Falle, sondern ein Auffangnetz? War er anderen so wichtig, wie sie ihm? War er mit seinen Schuldgefühlen und Verpflichtungen nicht allein?
Er spürte wieder ihre kühlen Hände auf seinen Wangen. Diese Augen… so schön und so vor Leben sprühend…
»Tragen Sie mich, Phillipa? Gehören Sie mit zu denen, die mich tragen?«
Sie ging vor ihm auf die Knie und sah ihm in die Augen. »Es war nicht meine Absicht. Aber ich hatte keine andere Wahl, als mich Ihnen verbunden zu fühlen, James Cunnington. Ich wollte nur kurze Zeit bleiben, um einen Weg zu finden, meinem Vater zu helfen. Ich weiß nicht, was der Liar’s Club mir in Zukunft bringt oder welche Entscheidung Lord Etheridge treffen wird.«
Ihre Finger waren so kühl, dass er sie wärmen musste. Er legte er seine Hände auf die ihren.
»James, was die Lügengeschichten angeht, die ich Ihnen aufgetischt habe -«
»Phillipa, hatten Sie andere Motive als Loyalität und schieren Uberlebenswillen?«
»Ach, es gab da schon ein paar Augenblicke…«
»Wann?«
»Im Lagerraum. Das waren rein selbstsüchtige Gründe.«
Er zögerte. »Weil Sie sich in mich verliebt hatten?«
»Ja.« Phillipa wartete. James sagte nichts. Egal, sie wusste, was ihr Herz sagte, und das gehörte ihm allein.
Er küsste sie sanft, als wolle er seine Grobheit von vorhin im Dechiffrierzimmer wieder gutmachen. Sie erwiderte seinen Kuss. Wie konnte es sein, dass ihr Mund zu seinem passte, als seien sie für einander geschaffen?
Vielleicht gab es ja doch eine Ordnung im Universum.
Sie lösten sich schließlich voneinander. James senkte seine Stirn auf die ihre.
»Phillipa?… Dein Haar…«Er griff wehmütig nach einer kurzen Locke.
Sie nahm seine Hand, zog sie zärtlich weg und küsste seine Handfläche. »Es wächst wieder.«
Er lehnte sich zurück und schüttelte fassungslos den Kopf. »Wenn ich an all die Dinge denke, die ich in deiner Gegenwart gesagt habe…« Seine Augen weiteten sich. »Ich habe dich zum Boxen mitgenommen! Ich habe dich
geschlagen
!«
Sie lächelte. »Ich habe zurückgeschlagen. Es war nicht mein Hintern, der
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