Die schöne Schwindlerin
unten zu gehen, weswegen er die geflüsterte Bemerkung nicht mehr ganz mitbekam, aber es hörte sich wie »Das bezweifle ich allerdings« an.
Wie wahr, dachte er, während er die Kerze aufnahm und den Raum verließ. Bedauerlich, aber wahr.
Das Feuer war warm, die schlichte Mahlzeit war herzerfrischend, aber etwas zitterte tief in ihr. Sie hatte den feuchten Morgenmantel abgelegt und saß in den überlangen Umhang gewickelt vor dem Feuer auf dem Boden. Sie hatte sich einen Zopf geflochten, hatte aber nichts, ihn zuzubinden. Dalton bewegte sich rastlos durch den Raum und sah hemdsärmelig und mit aufgeknöpfter Weste wie ein Pirat aus. Sie konnte aus seinem offenen Hemdkragen gerade noch die Brusthaare blitzen sehen. Wurden seine Schultern eigentlich von Tag zu Tag breiter?
Er fing langsam an, ihr richtig auf die Nerven zu gehen.
»Haben Sie nicht irgendwas Lordschaftliches, um das Sie sich kümmern könnten?«, schnappte sie schließlich. »Ich werde wahnsinnig, wenn Sie noch einmal um mich herumlaufen.«
»James kümmert sich draußen um Ihre Sicherheit.« In seiner Stimme schwang Frustration mit und ein Anflug von etwas anderem. »Ich habe hier nichts anderes zu tun, als Sie zu bewachen.«
»Wie bewachen? Wie ein Leibwächter oder wie ein Gefängniswächter?« Sie stand auf, um ihn direkt anzusehen. »Ich gehe eh nirgendwohin.«
Er blieb abrupt stehen und betrachtete sie in einer Art und Weise, die Clara zu denken gab. »Was ist los?«, fragte sie.
»Um die Wahrheit zu sagen, Sie gehen durchaus irgendwohin. Ich habe beschlossen, Sie fortzuschicken, bis ich den Urheber dieses Durcheinanders identifiziert habe.«
Sie verdrehte die Augen. »Das hätten Sie sich vielleicht überlegen sollen, bevor Sie mich nach London zurückgeschleift haben. Ich war bereits aufs Land unterwegs, um mich dort zu verstecken.«
»Ich habe etwas weiter Entferntes im Sinn.« Er sah weg. »Schottland wird fürs Erste reichen.«
»Schottland?«
»Es sei denn, ich brauche mehr Zeit. Falls nötig, setzte ich Sie auf ein Schiff zu den Westindischen Inseln.«
Sie starrte ihn böse an. »Habe ich da nicht auch ein Wörtchen mitzureden?«
»Nein. Ich muss Sie irgendwo haben, wo Sie keine Ablenkung – ich meine, keine Anziehung auf irgendwelche Attentäter ausüben.«
»Und das hat nichts damit zu tun, dass wir miteinander geschlafen haben?«
Er erstarrte. »Natürlich nicht. Dieses Thema jetzt aufzubringen hat keinen Sinn. Es ist irrelevant.«
Sie fror jetzt vollständig, durch und durch. »Ah«, sagte sie matt. »Für mich hat es sich… relevant angefühlt.«
»Es hat für die Zukunft keinerlei Bedeutung.« Dann tat es ihm Leid, und er sah sie mit entschuldigendem Blick an.
Er streckte die Hand aus, zupfte sachte an ihrem sich auflösenden Zopf und drehte sie zum Licht.
Ihr Gesicht wirkte im Kerzenlicht blass und mitgenommen, das Gesicht einer Fremden. Aber die blitzenden Haselnussaugen waren Rose in Reinkultur. »Ich habe mich tausendmal gefragt, warum ich es nicht gesehen habe. Warum habe ich Rose in der Witwe Simpson nicht erkannt?«
»Weil ich dafür gesorgt habe.« Ihre Worte waren ein bloßer Atemhauch. Hätte er drei Schritte weiter weg gestanden, er hätte sie nicht gehört.
»Vielleicht. Aber vielleicht habe ich mir meine Märchenfee so sehr gewünscht, dass ich es gar nicht sehen
wollte.«
Sie hob langsam die Hand und zog ihren Zopf weg. Ihre zittrigen Finger erzählten eine Geschichte, die ihre rigide Haltung verschwieg. Sie war genauso verzweifelt wie er. Genauso verängstigt. Genauso allein.
Er nahm ihr Gesicht in die Hände. »Wer sind Sie wirklich?«
Seine Stimme klang heiser, sogar in seinen eigenen Ohren. Er strich mit den Fingern die feuchten Strähnen nach hinten, die ihr an den Schläfen baumelten. »All diese Gesichter. Ist auch nur eines davon echt?«
Sie schüttelte den Kopf ein klein wenig. »Nein. Vielleicht aber auch… alle. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen.«
»Es gibt also Hoffnung?« Er streichelte mit dem Daumen eine Träne fort. Ob sie wusste, dass sie weinte? Er bezweifelte es. »Ist meine Rose irgendwo da drin?«
»Ich weiß es nicht. Am Ende bin ich, scheint mir, doch nur Clara.«
»Clara«, sagte er, probierte den Namen aus. Ob Clara sein Herz berühren konnte? Konnte sie jene dunkle Stelle tief in ihm heil machen, von deren Existenz er nichts gewusst hatte, bis Rose ihm den Weg gezeigt hatte?
Könnte er den Preis bezahlen? Sein Leben war schon kompliziert genug. Konnte er
Weitere Kostenlose Bücher