Die schottische Lady
beachtete seine Warnung nicht und floh in die Nacht hinaus. Im Mondlicht schaute sie auf ihren Morgenmantel hinab. Spinnweben hingen am weißen Leinen und glichen den Fetzen eines Leichentuchs. Und Staub. Die Reste zerbröckelnden Gebeine? »O Gott!« flüsterte sie und lief weiter.
»Shawna?« Er folgte ihr, aber sie blieb nicht stehen. Kalte Panik schien ihren Füßen Flügel zu verleihen. Vom Hauch des Todes umgeben, glaubte sie darin zu ersticken. Sie verließ den Friedhof, und David holte sie erst ein, als sie die Druidensteine erreichte. »Shawna!« rief er und umklammerte ihren Arm.
» Lass mich los!«
»Hör doch zu, Shawna ... «
»Nein! Ich muss mich waschen!«
»Aye, Mädchen, natürlich, wir werden ... «
»Jetzt!« Sie befreite sich von seinen Fingern und stürmte zum See.
»Bist du verrückt geworden, Shawna?«
Ohne zu antworten, watete sie ins Wasser und tauchte unter.
Kapitel 16
Von starken Händen an die Oberfläche des Sees gezerrt, rang sie nach Luft und starrte David wütend an. Bis zu den Schultern standen sie im Wasser.
»Versuchst du dich zu ei-tränken, Shawna?«
»Unsinn!« stöhnte sie, einem hysterischen Anfall nahe. »Ich wollte nur die Spinnweben und den Staub wegwaschen - und den Todesgeruch. Lass mich los!«
»J a, schon gut.«
Sie riss sich den Morgenmantel mit dem Nachthemd vom Leib und schrubbte sich ab. Danach sank sie erschöpft an Davids Brust.
»Wenn wir noch lange im Wasser bleiben, werden wir erfrieren«, meinte er.
»Aye ... « Sie richtete sich auf und watete ans Ufer.
Atemlos fiel sie ins feuchte Gras. Die eisige Nachtluft jagte einen heftigen Schauer durch ihren triefnassen, nackten Körper. Erst jetzt wurde ihr bewußt, dass sie in diesem Zustand nicht nach Hause zurückkehren konnte.
David stieg aus dem See, ebenfalls nackt, seine gewaschenen Kleider über dem Arm. »Falls du mir noch einmal davonläufst, nehme ich dich an die Leine, Lady. Oder ich werfe dich in ein Verlies. Komm jetzt!«
»Wohin?«
»Ins Wasser.«
»Niemals ... «
»Beeil dich! Allmählich fange ich auch zu frösteln an.«
»Nein, ich gehe nicht mehr ins Wasser.«
»Aber dir bleibt nichts anderes übrig.«
»Warum?«
»Weil wir nur auf diesem Weg die Geisterhöhle erreichen.«
Vergeblich protestierte sie, als er sie auf die Beine zog und die Uferböschung hinabführte. »Das ertrage ich nicht! Diese schreckliche Kälte ... «
»Daran hättest du früher denken sollen. Bei Flut gibt es keinen anderen Zugang zu meinem Schlupfwinkel.«
»O Gott, ich kann nicht ... «
»Wenn wir noch lange hier herumstehen, wird man uns womöglich sehen.« Er hob sie hoch und trug sie trotz ihrer heftigen Gegenwehr in den See. Erst im tiefen Wasser ließ er sie los, und sie strampelte verzweifelt, um sich gegen die Eiseskälte zu wappnen. Wohl oder übel schwamm sie hinter ihm her zu einer Felswand. »Halt die Luft an!« befahl er. »Nun tauchen wir unter. Alles in Ordnung?«
Welch eine Frage! »Aye!« stieß sie zwischen klappernden Zähnen hervor.
Glücklicherweise muss ten sie nur eine kurze Strecke unter Wasser zurücklegen. Durch einen breiten, überfluteten Felsentunnel gelangten sie zum Eingang einer Höhle. Jetzt wußte Shawna, wo sich David seit seiner Rückkehr aus dem Totenreich versteckte. Hier verwahrte er seine Kleider, hier hielt er sich auf, wenn er sie nicht in ihrem Zimmer besuchte oder in den Geheimgängen umherwanderte.
Sie stiegen aus dem Wasser, und er warf seine nassen Kleider zu Boden. Dann wickelte er Shawna in eine Decke, öffnete eine Reisetruhe und schlang ein Plaid um seine Hüften. Während sie zitternd am Wasserrand stand, machte er Feuer in einer Grube, die er offenbar schon oft benutzt hatte, und setzte sich davor.
Ungeduldig schaute er zu Shawna auf. »Komm her und wärm dich!«
Sie kauerte sich zu ihm und hielt ihre bebenden Hände über die Flammen. »O Gott, das war grässlich !«
»Und das Grauen ist noch nicht beendet. Diese Männer hatten's auf dich abgesehen. Zweifellos planen sie einen weiteren Anschlag, und ich hoffe, du wirst in Zukunft et-, was besser auf dich aufpassen.«
»Ich verstehe das alles nicht. Warum wollten sie mich ausgerechnet in der Gruft töten? Wäre es nicht einfacher gewesen, in mein Zimmer zu schleichen?«
»Nein, weil deine Tür verriegelt war. Außerdem schlafen mehrere Leute in deiner Nähe, auch mein Bruder.«
»Und warum wurde ich nicht ermordet, als ich betäubt im Schacht lag?«
Er runzelte die Stirn. »
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