Die Schuldlosen (German Edition)
führte.
Es war weiß Gott nicht fair, einen bis über beide Ohren verliebten jungen Mann, der sich Hoffnungen machte, als Mittel zum Zweck zu benutzen. Aber wer denkt mit siebzehn schon über Fairness nach, wenn im Bauch die Schmetterlinge zu Dutzenden schlüpfen? Es mochte welche geben, die in dem Alter einen zwar hübschen, aber faden Jüngling mit einem klapprigen Toyota so einem richtigen Haudrauf mit Engelsgesicht und neuem Audi vorzogen. Silvie gehörte eindeutig nicht dazu. In ihren Adern floss schließlich nicht nur kühl kalkulierendes Generalsblut, auch das heiße ihrer wilden Mutter.
Leider hatte Alex am ersten Abend, den sie dabei war, keine Augen für sie. Er nahm an, dass sie zu Lothar gehörte, weil sie mit dem gekommen war. Statt zu bummeln, irgendwo ein Eis zu essen und anschließend die Spätvorstellung in einem Kölner Kino zu besuchen, wie Lothar es Franziska weisgemacht hatte, gingen sie in eine Disco. Alex verkrümelte sich sofort in die Menge. Zweimal sah Silvie ihn tanzen und einmal mit einer Dunkelhäutigen knutschen. Dann verschwand er auch noch für geraume Zeit aus ihrem Blickfeld, um die Lakritzschnecke in irgendeiner schummrigen Ecke zu vernaschen – wie Lothar meinte. Es tat entsetzlich weh.
Doch schon am zweiten Samstagabend, den sie gemeinsam in Köln verbrachten, legte Alex sich mit einem bulligen Türsteher an, der Silvie für minderjährig befand und nicht einlassen wollte. Lothar gab auf der Stelle klein bei. «Ist doch kein Problem, gehen wir eben ins Kino.»
Doch das vereinbarte sich nicht mit Alex’ Auffassung von männlicher Ehre. Ihn störte es nicht einmal, dass er in der nachfolgenden Rauferei den Kürzeren zog. Ein zuschwellendes Auge und eine aufgeplatzte Lippe verhalfen ihm nur zu der Einsicht, dass es woanders Türsteher gab, die für ein gutes Trinkgeld nicht so genau hinguckten.
Also gingen sie woandershin. Dort machte Alex sich dann umgehend an eine Brünette heran, zog der beim Tanzen fast die Hotpants aus, während Lothar versuchte, bei Silvie einen Schritt weiter zu kommen. Er wurde zudringlich, sie verwies ihn in die Schranken, und das bekam Alex mit.
Als es Zeit wurde, die Heimfahrt anzutreten, händigte er Lothar wie üblich den Autoschlüssel aus. Zurück fuhr grundsätzlich der Vernünftige, der deswegen den ganzen Abend nur alkoholfreie Getränke zu sich nahm.
Sie gingen gemeinsam zum Auto. Nachdem Lothar aufgeschlossen hatte, klappte Alex die Lehne vom Beifahrersitz zurück. Silvie stieg hinten ein, er klemmte sich dazu und fragte: «Was dagegen, wenn ich dir Gesellschaft leiste? Meine Lippe tut immer noch höllisch weh. Vielleicht weißt du ein Mittel dagegen.»
Sie kam nicht zu einer Antwort. «Das träumst du aber nur», fuhr Lothar ihn an. «Wenn du hinten sitzen willst, fährt sie vorne mit.»
«Meinst du nicht, das wäre meine Entscheidung?», fragte Silvie, während Alex bereits wieder ausstieg und sich nach vorne setzte.
Und montags kam er zum Gymnasium, fing sie nach Schulschluss ab und wollte wissen, was zwischen ihr und Lothar laufe.
«Gar nichts», sagte sie.
«Das sieht er aber anders», sagte Alex.
«Dann soll er mal zum Augenarzt gehen», erklärte sie patzig.
Alex grinste und schlug vor: «Wir beide können auch mal alleine was unternehmen. Dann blickt er vielleicht eher durch.»
Silvie war sofort einverstanden, Franziska überhaupt nicht. «Du musst nicht jeden Samstagabend in Köln herumlungern. Warum gehst du nicht mal mit Lothar in Grevingen aus? Da gibt’s doch auch ein Kino.»
Es war Gottfried, der entschied: «Lass sie mitfahren und selber feststellen, welcher von beiden der Richtige ist. Oder soll ich demnächst wieder die Gegend absuchen? Sie wird bald achtzehn. In dem Alter kann man sie nicht mehr festbinden und ihnen auch nicht vorschreiben, mit wem sie ausgehen.»
Als Alex samstags vorfuhr, begleitete Gottfried seine Enkelin bis vor die Haustür und sagte zu ihrem Liebsten: «Du bringst sie heil wieder nach Hause, darauf verlasse ich mich. Und es wird nichts passieren, was sie nicht will. Haben wir uns verstanden?»
«Yes, Sir», sagte Alex und salutierte zackig, was Gottfried überhaupt nicht spaßig fand.
Sie fuhren nur bis Grevingen, gingen dort ins Kino und schauten sich «Schweinchen Babe in der großen Stadt» an. Das war nicht so berauschend. Aber die Heimfahrt … Alex machte noch einen Abstecher zu einem Feldweg, auf dem sie um die Zeit ungestört waren. Er war so sanft, so zärtlich, bedrängte
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