Die Schule der Nacht
im Rücken. Sie wunderte sich selbst darüber, dass sie keinerlei Angst hatte, mit einem Jungen, den sie kaum kannte, mitten in der Nacht auf einem Friedhof zu stehen, sondern den Moment sogar unglaublich romantisch fand. Insgeheim wünschte sie sich, er würde sie zu sich umdrehen und sie im Mondlicht küssen…
»Spürst du sie?«, flüsterte Gabriel ganz dicht an ihrem Ohr. »Spürst du die Liebe, die an diesem Ort existiert?«
April musste gegen ihren Willen kichern. Sofort nahm Gabriel seine Hände weg und trat einen Schritt zurück. Die romantische Stimmung war dahin.
»Du hältst mich für einen durchgeknallten Spinner, stimmt’s?«
»Überhaupt nicht. Du hast mich nur gerade an meinen Vater erinnert. Tut mir leid«, entschuldigte April sich und drehte sich zu ihm um. »Er hat ein Faible für unerklärliche Phänomene und schreibt Bücher über Ufos und den Bigfoot und solche Sachen.«
Ein seltsamer Ausdruck trat auf Gabriels Gesicht. »Hat er sich auch schon mit dem Highgate-Friedhof beschäftigt?«, fragte er.
»Soweit ich weiß, nicht. Aber ich bin mir sicher, dass es genau das richtige Thema für ihn wäre.« April blickte nachdenklich zum Circle of Lebanon zurück. »Und ich kann deine Faszination für diesen Ort absolut nachvollziehen. Er strahlt irgendetwas Magisches aus. Da fällt mir ein – unsere Familie hat auch eine Gruft hier!«
»Wo?«, fragte Gabriel mit eigenartig gepresster Stimme.
»Das weiß ich leider nicht. Mein Großvater hat mir erst gestern davon erzählt. Er stammt aus Rumänien und legt großen Wert auf Familientradition. Na ja, du weißt schon, ältere Leute sind manchmal eben…«
»Vielleicht ist es besser, wenn wir jetzt wieder gehen«, unterbrach Gabriel sie plötzlich und wandte sich von ihr ab.
Verwundert fragte April sich, ob sie womöglich irgendetwas Falsches gesagt hatte. Eben war sie sich beinahe noch sicher gewesen, dass er sie gleich küssen würde, und jetzt stürmte er auf einmal so eilig die Stufen hinauf, dass sie kaum hinterherkam. Als sie oben angekommen waren, führte er sie einen Pfad entlang und half ihr anschließend, durch eine schmale Öffnung in der Mauer zu schlüpfen.
»Ich glaube, ich weiß, wo wir sind«, sagte April und betrachtete die schmale Wohnstraße, in der sie standen. Sie befanden sich südlich des Platzes, an dem sie wohnte.
»Ich begleite dich noch nach Hause«, sagte Gabriel.
»Ist Milo wirklich so gefährlich, wie du gesagt hast?«, fragte April, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinanderher geschlendert waren.
Gabriel zögerte, dann nickte er.
»Dann bedanke ich mich dafür, dass du mich gerettet und mir diesen verzauberten Ort gezeigt hast. Ich hätte nicht gedacht, dass der Abend noch so schön werden könnte.«
»Gern geschehen«, antwortete Gabriel etwas steif. »Der Circle of Lebanon ist einer meiner Lieblingsplätze.«
»Ich hoffe, dass ich mich irgendwann bei dir revanchieren kann.«
»Willst du mich etwa auch mal retten?«, fragte Gabriel, der offensichtlich seinen Humor wiedergefunden zu haben schien, lächelnd.
April lachte. »Nein. Ich meinte, dass ich dir gern einen meiner Lieblingsplätze zeigen würde«, antwortete sie. Als Gabriel nichts darauf erwiderte, wurde sie etwas verlegen.
»Entschuldige bitte, ich bin wohl immer noch ein bisschen betrunken«, murmelte sie errötend, während sie über den Platz gingen.
Als sie vor ihrem Haus angekommen waren, sah sie ihn erwartungsvoll an.
»Ich fände es sehr schön, wenn du mir deinen Lieblingsplatz zeigen würdest. Vielleicht irgendwann nächste Woche?«
»Sehr gern!«, sagte April und hoffte, dass sie sich nicht zu begeistert anhörte. Sie legte zögernd eine Hand auf das Gartentor und fragte sich, ob er sie vielleicht zum Abschied küssen würde, aber Gabriel hatte sich schon zum Gehen gewandt.
»Ich rufe dich an, April Dunne«, sagte er über die Schulter.
»Aber du hast doch meine Nummer gar nicht«, rief sie ihm leise hinterher.
»Keine Sorge, die werde ich schon rausfinden«, sagte er, während er mit großen Schritten zum Platz zurücklief.
»Warte noch!«, rief sie und rannte ihm hinterher. »Deine Jacke!«
»Oh, danke.« Gabriel lächelte. »Siehst du, jetzt hast du mich doch gerettet… vor dem Erfrierungstod.«
Jetzt mach schon!, flehte sie stumm, während sie ihm in die Augen sah. Das ist die letzte Chance, dich richtig von mir zu verabschieden.
Ihre Finger berührten sich, als er ihr die Jacke aus der Hand nahm, doch dann trat er
Weitere Kostenlose Bücher