Die Schule der Nacht
einen Schritt zurück und zog sie sich an.
»Du solltest lieber ins Haus gehen, es ist wirklich kalt«, sagte er und verschwand schnell zwischen den Schatten der Bäume. Enttäuscht und zitternd vor Kälte lief April zum Haus zurück. Nachdem sie leise die Tür hinter sich zugezogen hatte, streifte sie die Schuhe ab und schlich auf Zehenspitzen zur Treppe.
»Psst!«
»Oh Gott!« April presste sich erschrocken eine Hand auf die Brust.
Ihr Vater steckte grinsend den Kopf aus dem Wohnzimmer. »Dad!« Sie seufzte tief. »Du hättest mich beinahe zu Tode erschreckt.«
»Tut mir leid«, sagte er, wurde aber sofort ernst, als er ihr vom Regen durchnässtes Kleid und ihre zerlaufene Wimperntusche sah. »Du liebe Güte, April – du bist doch nicht etwa bei dem Wetter nach Hause gelaufen?«
»Nur das letzte Stück«, log sie und hoffte, er würde nicht weiter nachfragen. »Aber sonst ist alles bestens, wirklich.«
Er zog besorgt eine Braue hoch. »Dann hattest du also einen schönen Abend?«
»Ja, hatte ich… jedenfalls gegen Ende. Ich erzähle dir alles morgen früh, ja?« Sie lächelte, dann ging sie auf ihn zu und umarmte ihn fest.
»April?«, flüsterte er, als sie schon auf der Mitte der Treppe angekommen war. »Du sahst heute Abend wirklich wunderschön aus. Zumindest bevor du offensichtlich durch irgendwelche Hecken gekrochen bist.«
Sie errötete. »Danke, Dad.«
»Schlaf gut, Liebes.«
Während sie in ihr Zimmer hinaufging, fragte sie sich, ob sie nach allem, was sie erlebt hatte, überhaupt in der Lage sein würde zu schlafen. Aber kaum hatte sie sich aus ihren nassen Sachen geschält und sich ins Bett gekuschelt, fielen ihr auch schon die Augen zu, und sie träumte die ganze Nacht… von Gabriel Swift.
Elftes Kapitel
A m nächsten Tag in der Schule gab April sich größte Mühe, nicht an Gabriel zu denken, musste sich aber kurz vor der Mittagspause schließlich eingestehen, dass sie mit diesem Vorhaben grandios gescheitert war. Sie hatte den kompletten Vormittag damit verbracht, jedes noch so kleine Detail ihrer Unterhaltung, jeden seiner Blicke zu analysieren und sich besorgt zu fragen, ob es klug gewesen war, ihm so viele Fragen zu stellen, oder ob sie zu aufdringlich gewesen war und ihn damit womöglich verschreckt hatte. Hatte er sie deswegen zum Abschied nicht geküsst? Natürlich hatte sie auch immer wieder an Milo und die Prügelei im Wintergarten denken müssen. Obwohl das alles erst gestern Abend passiert war, sah sie alle fünf Minuten auf ihrem Handy nach, ob nicht vielleicht eine SMS gekommen war oder sie einen Anruf verpasst hatte. Und immer wieder ertappte sie sich dabei, wie ein verträumtes Lächeln um ihre Lippen spielte, wenn sie daran zurückdachte, wie sie mit Gabriel im Circle of Lebanon im Mondlicht gestanden hatte. Gleichzeitig jagte ihr die Erinnerung an die leidenschaftlichen Küsse mit Milo heißkalte Schauer über den Rücken. Auch wenn sie sich ein bisschen dafür schämte, von Milo und von Gabriel zu träumen, sagte sie sich, dass es schließlich jedem Mädchen schmeicheln würde, wenn ihr gleich zwei Jungs den Hof machten.
Als es zur Mittagspause gongte, sehnte April sich verzweifelt danach, mit jemandem über alles, was passiert war, zu reden. Während der Geschichtsstunde, der sie nur mit Mühe hatte folgen können, hatte sie insgesamt sechs SMS von Fiona bekommen, die alle ungefähr denselben Inhalt gehabt hatten: »Ruf mich an, sobald du kannst! Du musst mir ALLES erzählen! Wann habt ihr Pause?« Aber bevor sie Fiona anrief, wollte sie erst mit Caro über Gabriel sprechen. Ihre neue Freundin war schon seit Jahren an der Ravenwood School und konnte ihr garantiert etwas mehr über ihn sagen. Wahrscheinlich wartete sie sowieso schon in der Cafeteria auf sie, weil sie genauso begierig wie Fiona darauf war, Einzelheiten über die Party zu erfahren. Eilig packte April ihre Bücher in die Tasche und wollte gerade zur Tür hinaus, als Miss Holden sie zurückrief.
»April? Kann ich Sie bitte kurz sprechen?«
Oh nein, dachte April. Nicht schon wieder eine Moralpredigt.
Die Lehrerin schloss die Tür und zog einen Hefter aus ihrer Tasche. »Ich würde mich gern mit Ihnen über Ihre Hausarbeit unterhalten«, sagte sie und warf den Hefter auf ihr Pult. »Wie schätzen Sie selbst Ihre Leistungen in Geschichte ein?«
»Na ja… ich versuche, so gut es geht, mitzukommen, was nicht immer ganz einfach ist… aber der Unterricht macht mir Spaß.«
»Um ganz ehrlich zu sein,
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