Die Schwarze Armee 01 - Das Reich der Träume
seinem eigenen Strick gehenkt, mit dem er auf die Bäume geklettert war. Meine Mutter verlor aus Kummer und Verzweiflung den Verstand. Das war das Ende für unsere Familie – ich war vierzehn Jahre alt, als die Träume einsetzten. Das Leben war so schwierig geworden, dass mir kein anderer Ausweg blieb als die Flucht in meine Träume. Träumen ist das Einzige, was armen Leuten erlaubt ist.«
Crispín erschauerte, denn Arquimaes’ Geschichte führte ihm qualvoll seine eigene Kindheit vor Augen.
»Zwei meiner Brüder wurden Mönche, ein dritter starb, und auch meine ältere Schwester zog sich in ein Kloster zurück, wo sie noch heute lebt; die jüngere heiratete einen Gaukler und verschwand aus unserem Leben. Ich habe nie wieder etwas von ihr gehört.«
»Und was habt Ihr gemacht, Meister?«, fragte Arturo.
»Meine Brüder wollten mich überreden, ebenfalls ins Kloster einzutreten, doch ein solches Leben besaß keinerlei Reiz für mich. Ich war jung und lebenshungrig, also trat ich in die Armee des Grafen ein, der meine Familie ins Unglück gestürzt hatte. Ich wurde Soldat.«
»Ihr seid in die Dienste dieses Unmenschen getreten, der schuld am Tode Eures Vaters war?«, wunderte sich Crispín.
»Es war die einzige Möglichkeit, in seine Nähe zu gelangen. Ich hatte einen Plan: Bei der ersten Gelegenheit, die sich mir bot, wollte ich ihm ein Messer in die Kehle stoßen. Ich wollte nur eins: Rache. Doch meine Träume wurden immer eindringlicher. In den Jahren, die ich in den Diensten des Grafen stand, habe ich zu kämpfen gelernt und wurde so zu einem erfahrenen Krieger. Gleichzeitig jedoch entwickelten sich meine Träume in ungeahntem Ausmaß.«
»Worum ging es in Euren Träumen?«, fragte Crispín neugierig. »Um eine Frau vielleicht?«
»Ich träumte davon, eine gerechte Welt zu schaffen«, antwortete Arquimaes. »Anfangs waren es jugendliche Fantasien, wirre Gedanken über die Ungerechtigkeiten, die ich um mich herum sah. Doch es ging immer weiter, und am Ende sah ich mich auf einem Thron sitzen, mit einer Krone aus Gold und Silber auf dem Kopf und mit einer Frau an meiner Seite.«
»Also, das nenne ich ehrgeizige Träume«, mischte sich Alexia ein, die ebenfalls alles mit angehört hatte. »Ich wusste ja schon immer, dass Alchemisten auf Macht aus sind, aber das übertrifft all meine Erwartungen!«
»In meinen Träumen war ich ein weiser und gerechter König, tolerant und verständnisvoll meinen Untertanen gegenüber. Ein König, der nicht machtbesessen war, sondern nur einen Wunsch hatte: Ungerechtigkeit zu beseitigen und den Ärmsten Schutz zu bieten.«
»Ein König der Bauern?«, fragte die Prinzessin ironisch. »Ein Bauer, der sich in einen Bauernkönig verwandelt!«
»Meine Träume waren edel. Ich war ein König aus der Not heraus. Ein König, der die Ungerechtigkeiten beseitigen wollte, die noch heute so verheerende Auswirkungen auf dieses Land haben. Ein König, der die Kranken heilt und den Armen hilft, der das Elend lindert und die Unwissenden unterrichtet. Ein König für all jene Menschen, die nach Gerechtigkeit dürsten! Das ist mein Traum, Prinzessin: ein Reich der Gerechtigkeit und Ehre! Ein Reich, das Leute wie Ihr sich nicht vorstellen können!«
»Jetzt hab ich aber genug!«, sagte Alexia aufgebracht. »Ihr seid ein betrügerischer Alchemist, der jeden unschuldigen Narren, der Euren süßen Worten vertraut, vom Thron zu stürzen trachtet! Ihr seid ein Schlangenbeschwörer!«
»Halt ein!«, unterbrach Arturo sie. »Arquimaes hat es nicht verdient, dass man ihn so herabwürdigt! Er hat nicht ein einziges Verbrechen begangen. Er hat uns nur von seinen Träumen erzählt.«
»Jeder hat Träume«, sagte Arquimaes. »Träume schaden niemandem.«
»Wir alle sehnen uns doch nach Dingen, die nur in Träumen vorkommen«, fügte Crispín hinzu. »Ich zum Beispiel möchte Ritter werden!«
Als Alexia klar wurde, dass Arquimaes’ Worte aufrichtig gemeint waren, beruhigte sie sich allmählich.
Arquimaes fuhr fort: »Träume sind das Reich der Freiheit. Sie sagen uns, wonach wir uns sehnen, was wir uns zuinnerst wünschen. Und mir haben sie den Weg gewiesen. Ich begriff, dass mein Auftrag in diesem Leben darin besteht, ein Reich zu schaffen, in dem Gerechtigkeit und Freiheit herrschen. Deswegen gab ich die militärische Karriere auf und wurde Mönch, wie meine Brüder. Während meiner Jahre in Ambrosia lernte ich alles über die Schriftkunst. Und dort schmiedete ich den Plan, den zu verwirklichen
Weitere Kostenlose Bücher