Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Cordes».
«Aber nicht zu jung», erklärte sie dann laut und klar, «die jungen Dinger heutzutage, die schaffen ja nichts.»
Was unbeabsichtigt, jedoch die beste Methode war, das Thema abzuschließen.
Als Rosina sich nach der alten Dienstbotin umsah, hatte sich die Tür schon hinter ihr geschlossen. Es blieb ein Gefühl von etwas Unerledigtem, etwas, das sie noch hatte fragen oder sehen wollen. Wie oft, wenn ihr zu vieles im Kopf herumging, fiel es ihr auch jetzt nicht ein.
Augusta trank ihren Kaffee, dann verabschiedete sie sich. Rosina verblüffte der abrupte Aufbruch, Amanda war er offensichtlich recht. Sie balancierten über den mit Brettern belegten Weg zurück zu ihrer Kutsche, der Falbe schnaubte leise zur Begrüßung und schüttelte seine glänzende schwarze Mähne. Vor ihm standen ein fast geleerter Eimer Wasser und eine Schüssel, in der noch ein paar Haferkörner übrig geblieben waren. Rosina fand, das Tier sehe sehr zufrieden aus, aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Da war also jemand, der das Pferd versorgt hatte. Der oder die? Es gab die alte Magd, die mit Madam Söder von den karibischen Inseln gekommen, und neuerdings eine «recht tüchtige Hilfe», die unsichtbar geblieben war. Der Knecht war offenbar verschwunden.
Als Rosina die Kutsche von dem lenkte, was einmal ein gepflegter Vorplatz vor einem ansehnlichen Landsitz gewesen war, entdeckte sie, wer tatsächlich ihr Pferd versorgt hatte. Halb verborgen hinter einem zerzausten Holunder, der wie die Hecken und Zierbüsche dringend gestutzt werden musste, stand ein Junge. Er mochte etwa dreizehn Jahre alt sein und reckte den Hals, um ihnen nachzusehen. Bis er von einer schlanken weiblichen Gestalt in graublauen Kleidern hastig zurückgezogen wurde.
Da fiel es ihr ein. Madam Söder hatte den Namen ihrer Aushilfsmagd nur in ihren Kaffee gemurmelt, er hatte sehr nach Cordes geklungen. Wie hatte Wagner gesagt? Hermine oder Wilhelmine Cordes? Dann war die Frau, die den besonders guten Kaffee gekocht hatte, womöglich keine aus dem Dorf, dann war sie eine Freundin der Toten, die im Gängeviertel hinter St. Jakobi gefunden worden war. Eine Freundin beider toter Frauen. Wieso war ihr der Name nicht gleich eingefallen? Die junge Cordes helfe aus, hatte Madam Söder gesagt. Oder so ähnlich. Und die hatte einen zwölfjährigen Sohn. Auch das hatte Wagner berichtet.
Sicher knüpfte sie jetzt nur Zusammenhänge aus dem, was in diesen Tagen in ihrem Kopf herumgeisterte, denn was konnte eine Kleinhändlerin aus der Stadt mit Madam Augustas Freundin zu tun haben, die hier außer ihr niemanden kannte? Wenn sie es aber tatsächlich war – womöglich ging es hier nur um ähnliche Namen, auch war Cordes in dieser Region häufig –, wenn sie es also war, wie kam sie samt ihrem Sohn ausgerechnet auf dieses ramponierte Anwesen?
« Jetzt bin ich beleidigt, Rosina», unterbrach Madam Augusta im nachdrücklichen Ton Rosinas Überlegungen. Seit sie vom Hof gerollt waren, hatte sie still und angespannt in ihren Polstern gesessen, eine Decke um die Schultern, eine über den Knien. Sie sah klein aus, verletzlich, das bemerkte Rosina erst jetzt. Sie war wieder einmal zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt gewesen. «Ich bin gekränkt», sprach Augusta weiter, «wirklich gekränkt. Da zermartere ich mir den Kopf, wie man Amanda helfen könne, ohne ihren Stolz zu beleidigen, ich setze uns der verrückten Schießerei dieser störrischen Person aus und riskiere mein und Euer Leben – und sie braucht mich gar nicht. Sie hat diese tüchtige junge Frau im Haus, die ihr hilft, die für sie sorgt. Warum sagt sie mir das nicht? Warum befreit sie mich nicht von der dummen, überflüssigen Sorgerei? Wo hat sie die überhaupt her? Um Amanda», schloss sie auftrumpfend, «sorge ich mich nie wieder.»
Rosina lächelte. Beide wussten, dass dieser so gute wie sinnvolle Vorsatz höchstens einen Tag überdauern würde.
Kapitel 11
Dienstagmorgen, 30. März
Es war ein Fehler gewesen, dass er sich für das Dammtor entschieden hatte, weil die Schlange der wartenden Fuhrwerke dort gewöhnlich kürzer war als am Steintor. Auch hier stauten sich die Wagen, und weil seine Unruhe wuchs, entschloss er sich, etwas zu tun, das ihm seine Moral sonst verbot und auch ein Risiko war. Wenn es misslang, würden sie ihn lange nicht hereinlassen und zudem womöglich bis auf die Haut durchsuchen, als sei er ein Vagabund. Der lange Ritt hatte ihn trotz der frühmorgendlichen
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